Seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert wird immer wieder behauptet, die Karthager hätten auf grausige Weise Kinder geopfert. Auch Altertumsforscher haben dies bis in die jüngste Zeit angenommen. Dies stimmt jedoch vermutlich nicht, wie jetzt amerikanische Forscher nach der Analyse der sterblichen Reste von über 500 karthagischen Babys feststellten.

Die Kinder waren bei ihrem Tod meist nur wenige Wochen alt, ein Fünftel der bestatteten Kinder waren Totgeburten, schreiben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "PLoS ONE". "Unsere Studie betont, dass Historiker alle Belege in Betracht ziehen müssen, wenn sie das Verhalten in antiken Gesellschaften entschlüsseln wollen", erklärt Jeffrey H. Schwartz von der Universität Pittsburgh. "Die Idee einer regelmäßigen Kleinkindopferung in Karthago fußte bisher nicht auf der Analyse der sterblichen Reste, sondern auf Beispielen von Menschenopfern, wie sie von einigen frühen Chronisten berichtet wurden, die sich auf doppeldeutige karthagische Inschriften oder auf Stellen im Alten Testament beriefen. Unsere Ergebnisse hingegen zeigen, dass es wohl einige Opferungen von Kindern gab, aber es war nicht so, dass die Karthager regelmäßig ihre eigenen Kinder opferten."

Es gab in Karthago zwei Friedhöfe. Der eine war der normale Friedhof für Tote im Jugend- undErwachsenenalter. Der andere lag außerhalb der Stadt und war für kleine Kinder und junge Tiere bestimmt, er wurde "Tophet" genannt. Die Existenz des Tophet, besonders für Kleinstkinder und Tiere, legte die Vermutung nahe, dass hier die geopferten Kinder lägen. Nun haben Schwartz und seine Kollegen 348 Urnen mit Resten von 540 Bestatteten untersucht. Dabei zeigte sich, dass ein Fünftel Totgeburten waren. Die lebend geborenen Kinder waren bei ihrem Tod kaum älter als fünf bis sechs Monate. Als Todesursache nehmen die Forscher Krankheiten im Säuglingsalter an, die damals nicht bekämpft werden konnten. Außerdem versuchten die Wissenschaftler, das Geschlecht der Kinder zu ermitteln, da es zu dem Mythos der Kinderopferung in Karthago gehört, dass die Karthager angeblich erstgeborene Söhne opferten. Bei der Analyse des Geschlechts der bestatteten Babys zeigte sich, dass die meisten weiblich waren.

Die Wissenschaftler ziehen aus ihren Untersuchungen den Schluss, dass der Tophet ein Friedhof für Kleinstkinder war, ganz gleich, wie sie gestorben waren.