Das Ziel: Fehlerhafte Vorhersagen wie die zur Gletscherschmelze im Himalaja sollen in Zukunft vermieden werden.

Hamburg. Wenn der Uno-Klimarat IPCC seine Gutachten zur Entwicklung des Weltklimas vorstellt, sind ihm Schlagzeilen sicher. Die Experten tragen den Stand des Wissens zum Klimasystem, den Folgen des Wandels sowie Maßnahmen zur Anpassung und zum Klimaschutz zusammen und bilden damit die Grundlage für politisches und wirtschaftliches Handeln. Doch in diesem kalten europäischen Winter sind die Aussagen zur Erderwärmung in die Kritik geraten. Nicht weil die Trendaussage so gar nicht zu den Beobachtungen passt, sondern weil im jüngsten umfangreichen Bericht aus dem Jahr 2007 Fehler steckten.

Nun ist die Frage entbrannt, ob das Uno-Gremium reformiert werden soll. Die Bandbreite der Forderungen reicht vom Rücktritt des IPCC-Vorsitzenden Rajendra Pachauri über Rufe nach einer neuen Struktur bis zu einer sanften Korrektur des bestehenden Prozesses, in dem Tausende Studien alle sechs Jahre zu einer umfassenden Essenz gegossen werden.

Zwei sachliche Fehler stießen die Diskussion an: Viele Gletscher im Himalaja könnten bis 2035 verschwinden, hieß es im zweiten von drei Teilen des Zustandsberichts, verfasst von der Arbeitsgruppe zwei, die das Wissen über Klimafolgen und die Möglichkeiten zur Anpassung zusammenträgt. Der Fehler gehe vermutlich auf einen Zahlendreher zurück, hieß es kürzlich in einer Analyse im Journal "Science": Ein russischer Forscher hatte bis 2350 ein Abtauen der Gletscher von 500 000 auf 100 000 Quadratkilometer prognostiziert. Fehler Nummer zwei: Der Anteil der Landfläche in den Niederlanden, der unterhalb des Meeresspiegels liegt, wurde mit 55 Prozent angegeben; tatsächlich sind es 26 Prozent.

"Der Fehler zur Gletscherschmelze hätte nicht passieren dürfen", sagte Ottmar Edenhofer, Mitvorsitzender der Arbeitsgruppe III (Maßnahmen zum Klimaschutz), Chefökonom und stellvertretender Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Wir haben ja mehrere Hundert Experten, die das geprüft haben, das ist immer durch die Lappen gegangen."

Das betont auch Prof. Jochem Marotzke, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (Hamburg). Aber er sieht keinen Grund für eine Reform des IPCC: "Sie wäre nicht angemessen. Es gibt bereits grundsätzliche Prinzipien der vielfachen Begutachtung. Sie müssen nur besser angewendet werden. Wir brauchen ein besseres Wechselspiel zwischen den Experten der ersten Arbeitsgruppe, die sich mit den physikalischen Grundlagen des Klimasystems befasst, und der zweiten Arbeitsgruppe, die zu den Folgen arbeitet." Die Folgen basieren auf den naturwissenschaftlichen Grundlagen, die die Arbeitsgruppe I zusammenträgt. Gutachter aus ihren Reihen, so der Ozeanograf Marotzke, sollten deshalb stärker in die Arbeitsgruppe II eingebunden werden.

Sein Kollege Prof. Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung am Forschungszentrum GKSS in Geesthacht, möchte weitergehen. Der IPCC müsse sich grundlegend reformieren, wolle er nicht irrelevant werden: "Der IPCC ist unverzichtbar, aber aufgrund mangelhaften Managements und unzureichender Kommunikation in eine Glaubwürdigkeitskrise gerutscht."

Sechs Ansätze könnten helfen. Erstens müsse die häufige Praxis beendet werden, dass dominante Forscher als Leitautoren vor allem "Publikationen von sich selbst und ihren Freunden bewerten". Zweitens sollten Interessen von Unternehmen und Umweltverbänden strikt herausgehalten werden. Drittens sollte ein unabhängiges Beratungsgremium geschaffen werden, das nicht an der Erarbeitung der IPCC-Berichte mitwirkt, sondern den Umgang mit Interessenkonflikten und Fehlern regelt. Wichtige Leitautoren sollten - viertens - spätestens nach zwei aufeinanderfolgenden Berichten wechseln. Fünftens: Der Rat soll stärker Punkte aufnehmen, in denen keine Einigkeit besteht und auf Kritik eingehen. Zuletzt fordert der Professor eine strikte Trennung von wissenschaftlicher Arbeit und politischen Funktionen.

Dies hält Marotzke für den falschen Weg: "Der IPCC ist per se ein zwischenstaatliches Gremium. Es gehört den Regierungen. Dadurch, dass Regierungsvertreter an der Zusammenfassung für Politiker mitwirken, werden die Ergebnisse von den Regierungen akzeptiert, sie müssen danach handeln. Das Schlimmste wäre, wenn sich die Wissenschaftler einen Haufen Arbeit machen, und die Regierungen dann sagen: Eure Ausarbeitungen interessieren uns nicht." Eine zu große Einflussnahme der Regierungen verneint Marotzke: "Alle Aussagen der Zusammenfassung müssen durch Studien belegt sein. Es gilt weiterhin das Primat der Wissenschaft."

Ein Wechsel der Hauptautoren sei bereits vorgesehen, so Marotzke. Auch die von von Storch kritisierte vorherrschende Stellung dominanter Wissenschaftler sehe er nicht: "Natürlich müssen jeweils die besten Wissenschaftler aus den Fachgebieten die Ergebnisse zusammenfassen und begutachten." Beide Forscher teilen jedoch die generelle Wertschätzung des IPCC. Von Storch: "Er ist eine sehr nützliche Einrichtung. Da der menschengemachte Klimawandel eine reale Entwicklung darstellt und die Staaten dieser Welt darauf reagieren müssen, braucht es einen IPCC."

Mike Hulme von der University of East Anglia in Norwich (Großbritannien), einer der Hauptautoren des Berichtes 2001, schlägt dagegen radikale Reformen vor: Der IPCC solle sich nach seinem fünften Report im Jahre 2014 auflösen und die Arbeit dann drei neuen Gremien überlassen: Das "Global Science Panel" (GSP) würde, ähnlich wie bisher die Arbeitsgruppe I, wissenschaftliche Aspekte des Klimasystems sortieren. Statt alle sechs Jahre sollte das neue Panel ständig Berichte liefern, konzentriert auf einzelne Aspekte und auf maximal 50 Seiten. In fünf bis zehn "Regional Evaluation Panels" (REPs) sollten regionale Experten die jeweilige Entwicklung in ihrer Region beurteilen, basierend auf dem GSP und dem Sachverstand von Forschern, ziviler Gesellschaft und Wirtschaft der jeweiligen Region.

Gruppe drei trägt den Namen "Policy Analysis Panel" (PAP). Dieses ständige Gremium hätte 50 bis 100 interdisziplinäre Mitglieder, die alle sechs bis zwölf Monate Handlungsoptionen mit globaler Relevanz aussprechen. Diese Neugliederung hätte eine andere Form von Klimaberichten zur Folge. Die interessierte Fachwelt wäre von Berichten befreit, die nur alle sechs Jahre erscheinen und dann als Tausende Seiten starke Dokumente die Schreibtischplatte durchbiegen.