Störche sind Zugvögel. Manche bleiben aber im Kalten, wenn der Partner nicht abfliegt. Naturfreunde füttern sie meist durch, aber notfalls kommt Adebar auch allein zurecht.

Hamburg. Romeo hat es geschafft. Der 20 Jahre alte Storch aus Isny im Allgäu hat seine langjährige Partnerin davon überzeugt, dass es auch im Winter im Allgäu am schönsten ist. "Sobald es kalt wurde, ist Julia in den ersten Jahren immer in den Süden gezogen. Sie kam dann jedes Jahr etwas früher zurück. Jetzt bleibt sie den ganzen Winter an Romeos Seite", sagt Jürgen Tischer vom Storchennestteam Isny, das sich um die Tiere kümmert. Seit einigen Jahren beobachten Biologen, dass immer mehr Weißstörche in Deutschland überwintern, vor allem in den südlichen Bundesländern.

Seit dem Jahr 2000 lebt die Stadt Isny in Baden-Württemberg mit dem Storchenpaar. Die Vögel haben sich den 34 Meter hohen Kamin auf dem Rathaus als Zuhause ausgesucht. Bereits fünfmal haben Romeo und Julia in ihrem Horst Nachwuchs aufgezogen. Während der Aufzuchtzeit in den Monaten Mai und Juni haben Tischer und sein Team stets zugefüttert. "In dieser Zeit sind bei uns die Streuobstwiesen nicht gemäht. Dadurch finden die Störche kaum Futter."

Romeo, einem ausgewilderten Aufzuchtstorch, fehlt der Zugtrieb. Jetzt wurde Julia, ein Wildstorch aus der Schweiz, von seinem Verhalten beeinflusst. "Das kommt häufiger vor, wenn sich von Hand aufgezogene Störche in Wildgruppen eingliedern", sagt Kai-Michael Thomsen, Storchenexperte am Michael-Otto-Institut des Naturschutzbundes (Nabu) in Bergenhusen (Kreis Schleswig-Flensburg). "Man muss bei der Auswilderung vorsichtig sein, damit die natürlichen Populationen nicht zu stark beeinflusst werden." Aber es gebe vereinzelt auch wilde Störche, die sesshaft seien. Thomsen: "Die Natur probiert immer wieder etwas Neues aus. Der Genpool ist groß, und so gibt es einige Individuen, denen der Zugtrieb fehlt." Haben sie gegenüber den Artgenossen Vorteile, setzen sich diese Gene allmählich durch.

Auch er kenne einige Störche, die in der Umgebung überwintern, sagt der Biologe. "Hier rund ums Storchendorf sind es drei; sie werden von unserer Ortsgruppe gefüttert." Aber auch ohne diese Unterstützung kämen die Vögel zurecht, so Thomsen: "Sie vagabundieren zur Futtersuche herum, legen dabei problemlos um die 100 Kilometer zurück - das tun die Artgenossen in den afrikanischen Winterquartieren auch. Die Überwinterer lassen sich an offenen Flussläufen oder Gräben nieder, ziehen auf Mülldeponien oder bedienen sich im Misthaufen beim Bauern nebenan."

Störche sind gegen Kälte resistent, weiß auch der Allgäuer Tischer. Sobald es dem Isnyer Storchenpaar durch Wind und Schnee auf dem Rathaus zu ungemütlich wird, suche es sich einen geschützten Platz. "Bei Temperaturen um minus 15 Grad sieht man die Vögel an Bachläufen sitzen. Das Wasser ist dann wärmer als die Luft." Problematisch werde es erst, wenn die Tiere längere Zeit keine Nahrung finden. Tischer und seine Kollegen füttern daher zu, sobald eine geschlossene Schneedecke liegt und der Boden dauerhaft gefroren ist.

Das Vertrauen auf Futterstellen habe dazu beigetragen, dass allein in Schwaben in diesem Jahr mehr als 30 Weißstörche auf den Flug in den Süden verzichtet haben, sagt Oda Wieding, Weißstorch-Expertin beim bayerischen Landesbund für Vogelschutz in Hilpoltstein. Ein weiterer Faktor sind die meist milderen Winter, die manchen Zugvögeln die Lust auf Fernreisen nehmen. Viele von ihnen zieht es höchstens noch bis Spanien; einige wenige heben gar nicht erst ab.

Solange das Futterangebot stimmt, sei dies auch bei härteren Wintern kein Problem, so Wieding. Gefahr durch die Kälte bestehe für sie selbst bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt nicht. "Störche können Wärme viel besser speichern als kleinere Vogelarten."

Aus dem Raum Hamburg seien bislang keine überwinternden Störche gemeldet worden, sagt Krzysztof Wesolowski vom Hamburger Landesverband des Nabu. Niemand hat den Abflug im August und September verpasst, so scheint es. Denn wer dann nicht fliegt, bleibt hier. Zum einen liefert der Winter nicht die günstigen Aufwinde, mit denen die Störche Höhe gewinnen und Kräfte sparend gen Süden gleiten. Zum anderen sind zumindest Jungvögel darauf angewiesen, dass ihnen jemand den Weg zeigt. "Sie müssen einmal mit ihren Eltern oder einer Gruppe ziehen, damit sie die Route kennen lernen", so Wesolowski, der seit vielen Jahren das Naturschutzgebiet Duvenstedter Brook betreut. Ganz anders sei dies mit den im Brook lebenden Kranichen: "Sie ziehen erst, wenn es ihnen zu ungemütlich wird, dann auch nur um die hundert Kilometer gen Westen. Die Kraniche im Brook habe ich noch bis Ende Dezember gesehen oder gehört, aber jetzt im Januar sind sie offenbar vor der Kälte geflüchtet."

Romeo und Julia, deren Namen in einem Wettbewerb ermittelt wurden, lässt das alles offenbar kalt. Das Storchenpaar hat inzwischen, auch zur Freude der örtlichen Tourismuswirtschaft, eine bundesweite Fangemeinde. Auf seiner Internetseite registriert das Storchennestteam an manchen Tagen bis zu 2000 Besucher.

Storchennest in Isny: www.isny.tv

Routen und Aufenthaltsorte von besenderten Störchen: www.bergenhusen.nabu.de , Stichworte Weißstorch/Storchenzug