Die Aussagen eines indischen Forschers wurden ohne Prüfung übernommen. Wie glaubwürdig sind Klimadaten überhaupt?

Bis zum Jahr 2035 könnten die Himalaja-Gletscher geschmolzen sein. Diese Aussage war eine von vielen Warnungen, mit denen der Weltklimarat IPCC 2007 die Weltöffentlichkeit aufrüttelte. Inzwischen steht fest: Das Szenario war nicht mehr als eine Spekulation eines - zwar renommierten - indischen Wissenschaftlers, geäußert in einem Interview des populärwissenschaftlichen Magazins "New Scientist". Das Statement wurde offensichtlich kritiklos in den IPCC-Report zum Zustand des Weltklimas übernommen - das lässt Fragen zur Qualität des Berichts aufkommen.

"Diesen Fehler kann ich mir nicht erklären", sagt Prof. Jochem Marotzke, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. "Üblicherweise muss jede Aussage im IPCC-Bericht zuvor in einer Publikation veröffentlicht worden sein, deren Artikel von unabhängigen, anonym bleibenden Wissenschaftlern überprüft worden sind. Die Magazine ,Science' und ,Nature' drucken solche sogenannten peer-reviewten Artikel ab, ebenso eine Reihe von Fachzeitschriften der jeweiligen Disziplinen."

Die strenge Qualitätskontrolle kenne er aus eigener Erfahrung: "Das Max-Planck-Institut hat selbst schon die Erfahrung gemacht, dass eine Arbeit zum Meeresspiegelanstieg fast nicht angenommen wurde, weil sie noch nicht entsprechend publiziert war. Erst als sie in die Endredaktion zur Veröffentlichung gekommen war, wurde sie in den IPCC-Bericht übernommen."

Im Fall der Gletscherschmelze flossen die Informationen jedoch über Abwege in den Bericht: Bereits 1999 druckte der "New Scientist" das Interview mit dem indischen Glaziologen Syed Hasnain von der Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi, ohne dass dessen Aussagen wissenschaftlich überprüft worden waren. Sie gerieten in Vergessenheit, bis die Umweltstiftung WWF 2005 sie ausgrub und erneut veröffentlichte. Noch gestern gab der IPCC auf seiner Internet-Seite ( www.ipcc.ch ) den WWF-Report als Quelle an.

Ebenfalls gestern meldete sich das Genfer Büro des IPCC: Der Präsident und seine Stellvertreter bedauerten "die schlechte Anwendung der bewährten Verfahren" zur Qualitätssicherung, betonen aber, dass die generellen Aussagen zu den weiträumigen massiven Abschmelzprozessen von Gletschern der wichtigsten Bergketten der Erde, darunter des Himalajas, weiter Bestand hätten und wissenschaftlich belegt seien. Der Fehler zeige, wie wichtig die "absolute Beachtung" der IPCC-Regeln zur Qualitätssicherung der Datenquellen sei.

"So ein Fehler darf nicht passieren", sagt Prof. Mojib Latif vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM Geomar). "In der Arbeitsgruppe eins, die sich mit den physikalischen Basisinformationen zum Klimawandel befasst, werden nur Inhalte aus peer-reviewten Artikeln übernommen - übrigens auch welche von Klimaskeptikern. Der aktuelle Fehler geschah in der Arbeitsgruppe zwei zu den Klimafolgen für Natur und Gesellschaft. Sie umfasst andere Wissenschaftsdisziplinen, die offensichtlich anders arbeiten. Wenn Daten aus weniger etablierten Quellen genutzt werden, müsste dies zumindest gekennzeichnet sein. Sonst öffnen sich Tür und Tor für alle möglichen Ergebnisse."

Die Falschaussage zur Gletscherschmelze ist Wasser auf die Mühlen der IPCC-Kritiker. Sie hatten rund um den Uno-Klimagipfel in Kopenhagen bereits zwei andere Vorkommnisse gegen den IPCC ins Feld geführt. Anfang Dezember verschafften sich Hacker Zugang zu den E-Mail-Fächern britischer IPCC-Forscher und fanden nach eigenen Aussagen kompromittierende Fakten. Doch ließen sich ihre Argumente weitgehend entkräften. Drei Wochen später geriet der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri in die Kritik, weil der promovierte Ökonom enge Beziehungen mit der Energiewirtschaft unterhält. Aber auch dies rüttelte kaum an der Integrität des IPCC. Der laxe Umgang mit (pseudo-)wissenschaftlichen Daten könnte da schwerer wiegen.

Latif spricht sich dafür aus, die IPCC-Richtlinien neu zu diskutieren: "Im Inneren muss Tacheles geredet werden, sonst ändert sich nichts." Jochem Marotzke hält das Qualitätssicherungssystem dagegen generell für ausreichend. "Fehler können passieren; es gibt kein narrensicheres System." Er würde weiterhin Inhalte zulassen, die nicht in einer der anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, natürlich nur nach intensiver Prüfung: "Für Wissenschaftler aus den sich entwickelnden oder nicht englischsprachigen Ländern ist es deutlich schwieriger, in den Fachmagazinen zu veröffentlichen. Auch in diesen Ländern sitzen sehr gute Wissenschaftler, deren Forschungen unbedingt zu berücksichtigen sind. Inzwischen gibt es im Internet sogenannte Open Access-Journale, Wissenschaftsmedien, die für alle Akteure geöffnet sind. Sie können ihre Papiere ins Netz stellen, die dann in einem Verfahren wie bei "Science" oder "Nature" überprüft werden. Diese Begutachtung ist im Netz nachzuvollziehen. Das ist ein Schritt zu mehr Basisdemokratie in der Wissenschaft."

Auch Marotzke nimmt den Vorfall sehr ernst: "Er zeigt uns, dass die IPCC-Autoren, die die wissenschaftlichen Arbeiten zusammenfassen, noch mehr aufpassen müssen. Es muss uns eine wichtige Lehre für den nächsten Bericht sein." Die Zeit, um Konsequenzen zu ziehen, sollte ausreichen: Der nächste IPCC-Bericht soll 2014 erscheinen.