Neue Beschleuniger liefern immer bessere Bilder von den bisher verborgenen Kräften der Natur - das Thema des Wissenschaftsforums von Abendblatt und NDR 90,3.

Hamburg. "Unsere Mission ist, neuartige Beschleuniger zu konzipieren, zu bauen und zu betreiben, um die Funktion und Struktur von Materie zu erhellen", sagte Prof. Helmut Dosch, Chef des Deutschen Elektronensynchrotrons, kurz Desy, auf dem 55. Hamburger Wissenschaftsforum von NDR 90,3 und Hamburger Abendblatt. Beim Forum zum Thema "Wo das Licht der Zukunft erstrahlt, wohin beschleunigt Desy?" auf dem Forschungsgelände in Bahrenfeld sagte er: "Wir bauen mit den Teilchenbeschleunigern Super-Mikroskope, die uns neuartige Bilder vom Innern von Materialien und Materie liefern." Zudem habe sich Desy in den vergangenen Jahren verstärkt mit der Struktur von Proteinen, den Bausteinen des Lebens, befasst.

Als Desy vor 50 Jahren gegründet wurde, sollte die Teilchenphysik vorangetrieben werden. Tatsächlich gelangen international beachtete, grandiose Einsichten in die Kräfte, die die Welt im Innersten zusammenhalten. Sie sind untrennbar verknüpft mit Hightech-Beschleunigern, die so klangvolle Namen wie Desy, Doris, Petra oder Hera haben. Dosch: "Der Hera-Ring, der unser größter Beschleuniger war, lieferte neue Einsichten in den Aufbau des Protons, eines Kernbausteins. Ohne diese Einsichten könnten die Forscher die Experimente am weltgrößten Beschleuniger, dem LHC in Genf, nicht sinnvoll auswerten."

Schon früh kamen Desy-Forscher auf die Idee, das Licht, das die beschleunigten Teilchen abstrahlten, für Blicke in den Mikro- und nun auch in den Nanokosmos zu nutzen. Hier wurde so präzises und helles Röntgenlicht erzeugt, dass Desy bald für seine brillante Synchrotronstrahlung weltberühmt wurde und Wissenschaftler aus Lebens-, Geo- und Kunstwissenschaften anzog.

Schon jetzt wollen mindestens 50 Prozent mehr Wissenschaftler am Desy arbeiten, als - nach Prüfung durch eine internationale und unabhängige Kommission - zugelassen werden können. Dabei hat das Flaggschiff, der Europäische Röntgenlaser XFEL, seine Arbeit noch nicht aufgenommen. Das eine Milliarde Euro teure Projekt soll 2014 fertig sein.

Desy habe bereits "Enormes für die Strukturbiologie und die Lebenswissenschaften geleistet", betonte Prof. Wilmanns, Chef des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Hamburg. "Vor 40 Jahren starteten am Desy weltweit die ersten Experimente zur Strukturbiologie, die sich mit der Aufklärung der Baustoffe des Lebens befasst. Das führte zur Gründung unseres Labors in Hamburg, das mit dem EMBL in Heidelberg die Arbeit aufnahm." Desy habe die besten Lichtquellen, um die Struktur biologischer Moleküle mit Röntgenlicht zu analysieren. Wie gut sie waren, zeige sich daran, dass die israelische Forscherin Ada Yonath, die jetzt den Chemie-Nobelpreis erhielt, am Desy die Grundlagen für die Analyse der Struktur der Fabriken der Zelle, den Ribosomen, legen konnte.

Auch die Infektionsbiologen warten gespannt auf das neue Licht, den Europäischen Röntgenlaser, sagte Prof. Egbert Tannich, Direktor am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI). Man habe in den vergangenen Jahren zwar enorme Fortschritte gemacht, etwa beim Wissen über das Erbgut. "Was uns jetzt interessiert, ist, wie die Erreger mit dem Menschen interagieren. Wir wollen diese Reaktion darstellen, denn das sind die Grenzflächen, an denen Impfstoffe und Medikamente angreifen. Wenn wir diese Strukturen besser verstehen, können wir bessere, maßgeschneiderte Medikamente machen."

Diese Forschungsziele können mit dem Licht der Zukunft, dem Europäischen Röntgenlaser, wohl erreicht werden, so Dr. Reinhard Brinkmann, Direktor des Forschungsbereichs Beschleuniger. Schon der kleinere Bruder des Europäischen Röntgenlasers, Flash genannt, erlaube erstaunliche Einblicke in die Welt der Bausteine des Lebens, der Proteine. Der Freie Elektronenlaser mache große Moleküle sichtbar. "Mit Flash haben wir Pionierarbeit auf dem Gebiet der Freien Elektronenlaser geleistet." Vier Jahre gab es weltweit nur diesen Laser. Erst in diesem Jahr ging in den USA eine zweite Anlage in Betrieb. "Auch mit Petra III, die brillantes, haarfeines Röntgenlicht erzeugt, zeigen wir, dass wir Spitzenlichtquellen betreiben. Wir wollen ja auch nicht irgendein Institut sein, wir wollen ein Spitzeninstitut sein."

Darauf setzen auch die Kooperationspartner. Prof. Wilmanns will die Erforschung des Tuberkulose-Bakteriums vorantreiben, dessen atomare Struktur seine Arbeitsgruppe seit zehn Jahren immer genauer zu verstehen sucht. Von den 5000 Proteinen, die das TB-Bakterium hat, kennen die Forscher nur von etwa 250 die Struktur. "Jedes dieser 5000 Proteine agiert im Schnitt mit zehn Partnern, ich glaube, fünf Komplexe kennen wir davon. Wenn man das hochrechnet, sieht man, dass im Grunde genommen die Arbeit erst beginnt. Die Vision ist, etwa beim TB-Bakterium, in zehn oder 15 Jahren die Gesamtheit aller Proteine in einer Zelle und ihre Interaktionen zu sehen." Diese Grundlagenforschung führe hoffentlich zu neuen Medikamenten.

Daran will auch Prof. Tannich arbeiten. "Wir sind am Malaria-Erreger interessiert, von dem wir wissen, dass er seine Oberfläche schnell verändern kann." Bislang sei unklar, welche Veränderungen zu schweren Formen der Malaria führten. "Das Allerbeste wäre, wenn man die Strukturen kennt, Impfstoffe zu entwickeln, die ein Erkranken verhindern."

Damit diese Ziele näher rücken und die Wünsche auch anderer Forscher erfüllt werden, werde derzeit der kleine Bruder des Europäischen Röntgenlasers, der Flash, erweitert, so Dr. Brinkmann. "Ich hoffe, dass das alles klappt, wir dann die Ernte einfahren können und dass die Forscher, die komplexe Strukturen untersuchen wollen, das auch können."

Desy werde daran arbeiten, "dass wir Live-Berichte aus dem Mikrokosmos schalten können", sagte Prof. Dosch. Diese Grundlagenforschung werde nicht morgen, aber garantiert übermorgen zu Innovationen auf dem Gebiet der Materialien- und Energiewissenschaften, Transport und Medizin führen. "Bisweilen wissen wir nicht, wonach wir suchen, bis wir es gefunden haben", zitierte Dosch den Philosophen Ludwig Wittgenstein und fügte hinzu: Die Voraussetzungen für Entdeckungen seien Spitzenbedingungen und clevere Leute. Desy soll für beide Voraussetzungen sorgen.

Das Forum im Radio: NDR 90,3, Sa, 16. Januar, 19.15 Uhr, "Abendjournal Spezial"