Ihr Klang fasziniert ebenso wie die seit Jahrhunderten geübte Kunst ihrer ungewöhnlichen Herstellung.

Kurz bevor es losgehen soll, ist es ganz still in der Werkstatt. "Stoß den Zapfen aus, Gott bewahr das Haus", sagt dann Cornelia Mark-Maas, hält einen Moment inne und spricht die entscheidenden Worte: "In Gottes Namen, lasst es rinnen." Und es rinnt. Die gelb glühende Masse fließt aus dem mächtigen Ofen, gluckert wie Wasser die Steinrinne entlang, verschwindet in einem Loch im Boden. Zischend entweicht die Luft aus dem Hohlraum.

In der sechsten Generation betreibt Mark-Maas die Glockengießerei im Eifel-Dorf Brockscheid. Ob sie die einzige Glockengießermeisterin der Welt ist, wie es immer wieder heißt, weiß sie nicht: "Das ist nie erforscht worden." Aber eine Frau sei in dem Männerberuf schon ungewöhnlich. Mehr Aufhebens duldet sie nicht.

An diesem Morgen gießen sie und ihre Mitarbeiter vier Glocken für die Kirche St. Nikolai in Potsdam. Die Erste ist die Größte. Das eingestrichene D soll erklingen, wenn sie angeschlagen wird.

Der Guss ist der Höhepunkt

Dafür sind 1700 Kilo "Glockenspeise" erforderlich. Die erfahrene Gießerin wartet, bis das Gemisch aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn die eingegrabene Lehmform gefüllt hat. Ein Assistent fackelt die aus der Form entweichenden giftigen Gase ab.

Der Guss ist der Höhepunkt der Glockenherstellung, Abschluss mehrwöchiger Arbeiten, bei denen anfangs wenig edle Materialien zum Einsatz kommen. Denn Glockenformen werden aus Lehm, Rinderhaaren und Pferdemist gefertigt. "Pferdemist ist ein Bindemittel, auf das der Glockengießer auch heute nicht verzichten kann", sagt Horst Letsch von der Eifeler Gießerei. Zwar gebe es chemische Mittel, doch seien die erheblich teurer als der Mist, den die Gießerei von Gestüten bezieht.

Schicht um Schicht wird auf die Formen aufgetragen, unterbrochen von Phasen, in denen der Lehm trocknen muss. Am Ende stehen zwei Lehmformen übereinander. Der Hohlraum dazwischen entspricht der Form der späteren Glocke. Die Ermittlung dieser Form, die exakt den gewünschten Ton erzeugt, ist das Geheimnis der Glockengießer, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Das wichtigste Hilfsmittel ist die "Rippe", ein Holzmodell des Querschnitts der Glockenwand. Es zeigt, wie die Glocke geschwungen ist und wie dick die Wand sein muss.

Bereits im 13. Jahrhundert schälte sich die Form heraus, die wir als typische Glockengestalt kennen, die "gotische Dreiklangrippe". Zuvor gab es Glocken in Mitteleuropa meist in Form eines Bienenkorbs, was einen herben Klang mit sich brachte. Die geschwungene Gestalt sorgt dafür, dass die Obertöne, die beim Anschlagen erklingen, zusammen ein harmonisches Ganzes ergeben. Als unübertroffenes Meisterwerk einer nach der gotischen Rippe geformten Glocke gilt die 1497 vom Niederländer Gerdt van Wou gegossene, knapp elfeinhalb Tonnen schwere "Gloriosa" im Erfurter Dom. Über sechs Minuten vibriert die "Königin der Glocken", wenn sie einmal angeschlagen wird.

Das Metall bestimmt die Klangfülle

Während das Klangbild, also die Mischung der Obertöne, nur von der Rippenform abhängt, wird die Klangfülle vom Metall beeinflusst. Das Material der Wahl ist seit 5000 Jahren die Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn. Sie kommt auch beim Glockenguss in der Eifel zum Einsatz. Dafür wird zunächst das Kupfer geschmolzen. Sechs Stunden wird der Ofen mit Holz vorgeheizt, dann zehn Stunden mit Öl befeuert. Die Zinnbarren werfen Gießergesellen erst kurz vorm Guss in den Ofen. Denn während Kupfer erst bei gut 1080 Grad schmilzt, wird Zinn bereits bei 230 Grad flüssig und wäre längst verbrannt, bevor es zum Guss käme.

Damit die bronzene Glockenspeise geschmeidig durch die gemauerten Rinnen fließt, werden auch sie mit glühenden Kohlen beheizt. Erst kurz vor dem Guss werden die Kohlen entfernt und die Rinnen gereinigt. Dann heißt es: "Stoß den Zapfen aus ..."

Als alle vier Formen gefüllt sind, spricht Pfarrerin Susanne Weichenhan ein Dankesgebet. Ob der Guss gelungen ist, werden die Gemeindemitglieder aber erst in ein paar Wochen erfahren, wenn auch die größte Glocke abgekühlt ist und ausgegraben werden kann. An diesem Weihnachtsfest wird das neue vierstimmige Geläut sicher noch nicht erklingen. Erst zum Osterfest werden die Bronzeglocken die fast 90 Jahre währende Zeit des stählernen Klangs beenden.

Denn seit 1922 hängen Stahlglocken in den vier Türmen der St.-Nikolai-Kirche. Zwei sind bereits kaputt, die beiden anderen nähern sich auch dem Ende ihrer Lebensdauer. Die Bronzeglocken waren zuvor im Ersten Weltkrieg für Kriegszwecke beschlagnahmt worden - ein Schicksal, von dem fast jede Kirchengemeinde in Deutschland berichten kann. Nach fast 100 Jahren schließen sich allmählich diese alten Wunden.