Messungen: Steigende Temperaturen lassen das Gestein brüchig werden. Vor 3700 Jahren stürzte ein 900 Meter hoher Felskeil vom Gipfel zu Tal. Forscher messen heute die elektrische Leitfähigkeit des Gesteins. Ihr Ziel: Felsstürze vorherzusagen.

Einst war die Zugspitze mehr als 3000 Meter hoch. Doch dann, vor etwa 3700 Jahren, brach binnen weniger Minuten ein 900 Meter hoher Felskeil aus der Nordflanke ab. Fast vierhundert Millionen Kubikmeter rasten ins Tal. Das Trümmerfeld bedeckt heute eine 16 Quadratkilometer große Fläche bei Garmisch. Auf den Überresten leben mehr als 10 000 Menschen. Der gewaltige Abbruch vor 3700 Jahren war wohl eine Folge des damaligen Klimawandels, vermuten Wissenschaftler heute.

Vor etwa 6000 Jahren setzte eine Warmphase ein, in deren Verlauf sich die Durchschnittstemperatur in den Alpen um zwei Grad erhöhte. Das Eis im Gestein wurde dadurch immer weniger, der Dauerfrost ("Permafrost") schwand "und mit ihm die Stabilität des Felsens, die Katastrophe nahm ihren Lauf", sagt der Bonner Geograf Dr. Michael Krautblatter. Er hat gemeinsam mit Prof. Andreas Kemna eine raffinierte Methode entwickelt, um Erwärmungen in Felsen frühzeitig zu erkennen und die Folgen der globalen Erwärmung für die Alpen aufzuzeigen.

Gegenwärtig steigt das Quecksilber am Gipfel der Zugspitze erneut kontinuierlich an. Die Lufttemperatur beträgt heute im Jahresdurchschnitt minus 3,7 Grad Celsius und ist damit fast ein Grad höher als zwischen 1961 und 1991.

Auch am Gipfel nur noch Reste von Permafrost

"Wir beobachten bereits, dass der gefrorene Eiskörper immer kleiner wird. Nahe am Gipfel der Zugspitze finden wir nur noch Reste von Permafrost. Ganz offenbar reagiert die Zugspitze auf den Klimawandel äußerst sensibel, noch sensibler als die Arktis", sagt Krautblatter.

Um den (Klima-)Wandel im Fels zu erforschen, haben die Forscher bereits 2007 eine "Tomografie für Steine" entwickelt. "Wir haben den Berg unter Strom gesetzt", erläutert Dr. Krautblatter. Tiefe Löcher in den Stein zu bohren und Thermometer hineinzustecken, funktioniert in den bereits instabilen Bereichen nämlich nicht. Vielmehr schraubten die Wissenschaftler in die Wand eines 300 Meter langen Stollens, der 1928 in 30 Meter Abstand von der Nordwand nahe dem Gipfel getrieben worden war, 140 Stahlschrauben. "Diese gut zehn Zentimeter langen und ein Zentimeter dicken Schrauben waren zuvor verkabelt worden. Als wir fertig waren, sah es in dem Stollen aus wie in einer alten Telegrafenstation." Die Schaltungen nahm aber keine Telefonistin, auch kein Forscher, sondern ein Computer vor. Er setzte jeweils zwei Schrauben unter Spannung - und maß jeweils an zwei andern, wie viel Strom dort ankommt. Wo Strom eingeleitet und wo er gemessen wird, entscheidet ebenfalls der Computer.

"Wir beobachten kontinuierlich, wie sich das Eis entwickelt"

"Das Gestein leitet Strom umso besser, je mehr flüssiges Wasser in seinen Poren steht, desto weniger Permafrost also vorhanden ist", erläutert Dr. Michael Krautblatter.

Mehr als 1400 Ergebnisse erhalten die Wissenschaftler so binnen eines halben Tages. Diese wertet der Computer mithilfe eines speziellen Rechenprogramms so aus, dass eine Tomografie des Berges entsteht. "Wir beobachten mit diesem Verfahren also nicht die Aktivität von Hirnzellen, sondern die Leitfähigkeit des Stroms im Gestein. Und da diese temperaturabhängig ist, können wir kontinuierlich beobachten, wie sich das Eis im Berg entwickelt."

Um diese Zusammenhänge zu verstehen, hatten die Forscher zunächst ein Stück Zugspitz-Gestein in ihr Bonner Labor verfrachtet. Dort ließen sie es kontrolliert auftauen und abkühlen und ermittelten dabei die Änderung der Leitfähigkeit. Ihre Ergebnisse übertrugen sie dann auf die Messwerte aus dem Feldversuch. Monat für Monat konnten sie so ein Tomografiebild des Zugspitzgipfels erstellen, an dem sich die Temperatur im Gestein ablesen lässt. Und das lokal für jeden Bereich zwischen Stollen und Nordwand. Damit ist es erstmals gelungen, den Zusammenhang zwischen Leitfähigkeit und Temperatur mithilfe bildgebender Verfahren darzustellen. "Vor 15 Jahren noch sagten alle Geophysiker, das geht nicht. Jetzt wird die Technik sicherlich weltweit zum Einsatz kommen. Wir wenden sie bereits auch am Mont Blanc und im Mattertal an."

Die Forscher haben mit Experimenten in der Kältekammer inzwischen erste Anhaltspunkte, wie die Erwärmung auf die Stabilität des Gesteins wirkt. "Die feinen Unebenheiten, die das Gestein miteinander verzahnen, schleifen sich leichter ab, weil Bewegung in den Berg kommt. Wir beobachten wenige Kilometer von der Zugspitze einen großen Steinquader, der seit ewigen Zeiten auf einer steil abschüssigen Felswand ruht. Wenn die Temperaturen sich weiter nach oben entwickeln, könnte es mit der Ruhe bald vorbei sein."