Die Zahl der Infizierten wird bis zum Jahreswechsel weiter steigen. Im Internet sorgen Horrormeldungen zur Impfung für Verunsicherung.

Hamburg. Die Schweinegrippe breitet sich in Deutschland weiter rasant aus. Die Zahl der Erkrankten hat sich mit 18 pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche fast verdoppelt, berichtete gestern das Robert-Koch-Institut in Berlin. Danach gibt es insgesamt knapp 54 000 bestätigte Fälle. Der Höhepunkt der Ansteckungswelle wird erst im Dezember oder Januar erwartet.

Von über 15 000 neu Erkrankten pro Woche berichtete Gérard Krause vom Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) im ZDF-"Morgenmagazin", "und das sind nur die laborbestätigten Fälle". 18 Menschen sind in Deutschland bisher durch das neue Virus umgekommen, jetzt auch zum ersten Mal in Niedersachsen. Das Gesundheitsministerium teilte gestern Abend mit, eine Frau (52) aus dem Raum Osnabrück sei an den Folgen der Grippe-Infektion gestorben. Sie war vor einer knappen Woche in einer Klinik aufgenommen worden. Europaweit wurden in der vergangenen Woche 69 neue Todesfälle gemeldet (insgesamt 424). Weltweit gibt es bisher 6593 Schweinegrippe-Tote.

Während die Experten aufrufen, sich impfen zu lassen, vor allem, wenn man chronisch krank ist, sorgen sich viele um die Nebenwirkungen des Impfstoffs Pandemrix. In Leinefelde im Eichsfeld (Thüringen) starb ein 55-Jähriger am vergangenen Donnerstag fünf Stunden, nachdem er sich hatte impfen lassen. Der Mann war allerdings an einem Herzinfarkt gestorben, zitierte Amtsärztin Judith Rahrig gestern aus dem Obduktionsbefund. Das Erfurter Gesundheitsministerium bestätigte dies.

Ebenfalls in Thüringen ist ein 66 Jahre alter Mann, der sich Freitag impfen ließ, gestern tot in seiner Wohnung gefunden worden. Er litt an einer chronischen Atemwegserkrankung. Die Todesursache wird jetzt untersucht. Am Dienstag vor einer Woche war in Weimar eine Frau (65) mit schweren Vorerkrankungen einige Stunden nach der Schweinegrippe-Impfung an Herzschwäche gestorben. Nach Ansicht des Amtsarztes besteht kein Zusammenhang zwischen Tod und Impfung. Eine Obduktion lehnte der Witwer ab.

Die Liste der Nebenwirkungen beim Impfstoff Pandemrix ist lang: Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit. Aufgeführt werden alle Reaktionen, auch wenn diese nur sehr selten auftreten. Dazu zählt ein schwerer allergischer Schock, etwa wenn ein Geimpfter allergisch auf Eiweiß reagiert, das bei der Heranzüchtung des Impfstoffs genutzt wird. Deshalb ist es wichtig, vor einer Impfung über Unverträglichkeiten und frühere Erkrankungen mit dem Arzt zu reden.

Zur Verunsicherung tragen Horrormeldungen im Internet bei, die nach dem Schnellballprinzip per Mail unters Volk gebracht werden. Dort wird etwa behauptet, dass der Impfverstärker-Zusatzstoff ("Squalen") bei US-Soldaten des ersten Golfkriegs vielfach zu chronischen Erkrankungen geführt habe. Zu den Vorwürfen hatte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" erklärt: "Gut, dass Sie mir die Gelegenheit geben, auf diese Kampagne zur Verunsicherung der Menschen zu reagieren. Unser Fachinstitut, das weltweit für seine Seriosität und Kompetenz geschätzte Paul-Ehrlich-Institut, ist diesen Meldungen nachgegangen und hat Entwarnung gegeben. Für Squalen liegen seit 1997 Erfahrungen aus über 40 Millionen Impfungen vor: Und es hat keine auffälligen Nebenwirkungen gegeben." Squalen kommt in der Leber von Haifischarten vor, in Fischölen sowie in Olivenöl (zu 0,1 bis 0,7 Prozent), Weizenkeim- oder Reisöl (unter 0,03%).

Der Stoff wird vielfach als Impfverstärker eingesetzt, weil er zu einer stärkeren Immunreaktion bei den Geimpften führt und damit die Schutzwirkung erhöht. Der Impfverstärker (Adjuvans) hat unterschiedliche Bezeichnungen (zum Beispiel AS03). Als Emulsion ist der milchig-weiße Stoff seit 1997 in Europa zugelassen. Der umstrittene Stoff ("Haifischleberöl") wird auch in der Alternativmedizin gegen Krebserkrankungen, das atopische Ekzem, Arteriosklerose, chronische Müdigkeit und Immunschwäche eingesetzt.

Mit der zunehmenden Zahl von Geimpften ist auch die Zahl der Verdachtsfälle mit unerwünschten Reaktionen angestiegen - seit Anfang November bis zum Ende der vergangenen Woche von 59 auf 197, wie aus der Datenbank des Paul-Ehrlich-Instituts hervorgeht. Die Zahlen sollen noch bewertet werden, kündigte eine Sprecherin des Instituts an.

Der jüngste Impfling mit Beschwerden war zehn Monate, der älteste 79 Jahre alt. Am häufigsten wurden Reaktionen an der Injektionsstelle wie Rötung oder Schwellung und Allgemeinreaktionen registriert, die nach einer Impfung auftreten können. Dazu zählen Kopfschmerzen, Fieber, Müdigkeit, Muskel- oder Gliederschmerzen, Übelkeit oder Lymphknotenschwellungen. Bei einigen Impfpatienten kam es bis zum 12. November zu Überempfindlichkeiten oder extremen allergischen Reaktionen. Letztere können zu Kreislaufzusammenbrüchen oder Ohnmacht führen und im Extremfall, ohne sofortige Notfallversorgung, sogar tödlich enden.

Grundsätzlich rechnet das Paul-Ehrlich-Institut damit, dass bei der Schweinegrippe-Impfung häufiger Nebenwirkungen auftreten als bei der Impfung gegen die saisonale Grippe. Das sei zu erwarten, weil der Impfstoff einen Wirkverstärker enthalte, sagte eine Sprecherin des Instituts. Der Verstärker sei bei dem neuen Virus aber nötig, weil anders als bei der saisonalen Grippe innerhalb der Bevölkerung nicht so etwas wie eine Grundimmunität bestehe. "Der Impfstoff muss stärker sein, damit die Immunantwort des Körpers stärker ausfällt", erklärte sie. Um Risiken zu minimieren, rät das Institut vor allem Allergikern, die empfohlene halbe bis Dreiviertelstunde Wartezeit nach der Impfung einzuhalten. So könnten plötzliche schwere Reaktionen auf die Impfung ausgeschlossen werden.

Seit Sonnabend müssen Ärzte keine Verdachtsfälle mehr melden. Dennoch wird der Höhepunkt der Infektionen erst im Dezember und Januar erwartet. Lehrer fordern eine klare Linie für Schulen. Der permanente "Zickzackkurs" von Schulbehörden und Gesundheitsämtern sorge für eine tiefe Verunsicherung, kritisierte Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes, in Berlin. Schulen seien sehr stark von der Infektionsgefahr betroffen.

"Politik und Behörden müssen sich endlich entscheiden, auf welche Weise sie ihre Verantwortung für die Gesundheit der Kinder wahrnehmen wollen." Wenn die Gesundheitsgefahren so groß seien, wie einige Experten behaupteten, müsse es größere Impfaktionen an Schulen geben. Wenn die Gefahr jedoch nicht größer als bei bisherigen Grippewellen sei, sollte es keine weiteren Schulschließungen mehr geben, forderte er.

Die Schweinegrippe hat auch die Pilgerschar nach Mekka reduziert. An den heiligen Stätten des Islam in Saudi-Arabien herrscht weniger Betrieb als sonst. Viele Muslime haben ihre Wallfahrt nach Mekka und Medina ("Hadsch") aus Angst vor dem Virus auf das nächste Jahr verschoben. Die saudische Zeitung "Arab News" meldete, die "Hadsch"-Reiseveranstalter in Saudi-Arabien hätten 40 Prozent weniger Kunden aus dem Inland als 2008.