Das Paradoxe daran: Die Erdplatten bewegen sich nicht mehr. Forscher lösten das Rätsel. Auftriebskräfte sind die Ursache.

Die Alpen wachsen stetig. Daran besteht kein Zweifel. Seit Jahrzehnten vermessen Schweizer Geowissenschaftler die Alpen mit höchster Genauigkeit und stellen immer wieder fest: Europas höchstes Gebirge erhebt sich Jahr für Jahr um einen Millimeter. Das Paradoxe: "Eigentlich dürften sich die Schweizer Alpen gar nicht mehr bewegen. Denn ihr tektonischer Antrieb ist nahezu vollständig erlahmt, wie Messungen des globalen Positionierungssystems zeigen", sagt Professor Friedhelm von Blanckenburg vom Deutschen GeoforschungsZentrum (GFZ) in Potsdam.

Das Klima hat dem Gebirge massiv zugesetzt

Warum die Berge sich trotzdem heben, entdeckten jetzt deutsche und Schweizer Forscher. Nicht die Bewegung von Erdplatten, sondern reine Auftriebskräfte lassen das Bergmassiv wachsen. Wirksam werden diese Kräfte, weil das Klima dem Gebirge massiv zugesetzt hat. Die Klimazyklen der Kaltzeit in Europa seit 2,5 Millionen Jahren haben die Erosion in den Schweizer Alpen beschleunigt. Dieses Forschungsergebnis schildern die Geowissenschaftler in der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Tectonophysics" (Nr. 474).

Die Auffaltung der Alpen begann etwa vor 55 Millionen Jahren, als die afrikanische und die europäische Kontinentalplatte aufeinandertrafen.

Die Erdvermessung erfasst die Hebung, nicht aber die Erosion

Die jetzige Höhe hat das Gebirge vermutlich bereits vor einigen Jahrmillionen erreicht. Seitdem tragen Gletscher und Flüsse genauso viel Material von den Alpenhängen ab, wie aus den Tiefen der Erdkruste nachwächst.

Mit Fotos kann man die Veränderungen des Bergmassivs nicht erkennen. Auch mit den hochpräzisen Methoden der modernen Erdvermessung ist zwar die Hebung, nicht aber die Erosion der Berge zu erfassen. Es war eine Schaufel Flusssand, die die neuen Erkenntnisse zutage förderte. "Genau genommen haben wir im Verlauf der vergangenen fünf Jahre aus 30 Schweizer Alpenflüssen wie der Reuss, der Rhone oder der Matter Sediment entnommen und dieses im Labor untersucht", erläutert Prof. von Blanckenburg. Die Labormethode, die den Forschern diese neuen Erkenntnisse brachte, ist äußerst raffiniert.

Um irdische Phänomene zu bestimmen, nutzten sie die Auswirkungen der kosmischen Strahlung auf die Erdoberfläche. Aus den Tiefen des Alls prasseln ständig Protonen, also elektrisch positiv geladene Teilchen, auf die Schutzhülle der Erde.

Forscher spürten kosmogene Isotope im Flusssand auf

Wo die Protonen diese Hülle durchdringen, stoßen sie in der Atmosphäre mit Stickstoff- und Sauerstoffatomen zusammen. Dabei entsteht ein regelrechter Teilchenschauer, der früher Radios und Fernseher störte. "Uns interessieren vor allem die Neutronen, die bei diesen Reaktionen entstehen", erläutert Prof. von Blanckenburg. "Die elektrisch neutralen Teilchen können bis zu einen Meter tief in die Erdoberfläche eindringen.

Dabei kommt es zu Reaktionen mit den Molekülen in der Erdoberfläche, und es entsteht das seltene Isotop Beryllium-10. Das Isotop ist radioaktiv und hat eine Halbwertszeit von 1,4 Millionen Jahren. Je schneller die Oberfläche abgetragen wird, umso weniger Isotope dieser Art sind darin vorhanden." Die GFZ-Forscherin Dr. Hella Wittmann spürte nun diese "kosmogenen" Isotope im Flusssand auf. Erstmals bestimmte sie damit die Erosionsrate in den Schweizer Alpen, die bislang nur geschätzt worden war.

Dass die Alpen über die Jahrmillionen nicht einfach abgetragen wurden, zeigt die Dynamik des Erdmantels. Kaum verringern Wind, Wasser, Gletscher oder Bergstürze das Gewicht, mit der das Gebirge auf den Erdmantel drückt, wächst das Bergmassiv aus dem Erdmantel nach. Der Auftrieb schiebt das Gebirge hoch.

Ein Effekt, den man auch in Grönland beobachten kann. Infolge des beschleunigten Abschmelzens der Gletscher bewegt sich der Südosten Grönlands gegenwärtig mit vier Zentimetern pro Jahr aufwärts - noch um die Jahrtausendwende waren es lediglich 0,5 bis ein Zentimeter gewesen.

Grönland oder die Alpen, eines machen diese Studien deutlich: Wegen Klimaänderungen ist die Erde unter unseren Füßen eben immer in Bewegung.