Der Verlust der biologischen Vielfalt muss ökonomisch bewertet werden. Nur dann lässt er sich stoppen.

Hamburg. Artensterben, gerodete Wälder, verschmutzte Meere - das Ausmaß der globalen und hiesigen Naturzerstörung ist längst bekannt. Dennoch bleibt ein konsequentes Umsteuern aus. Der Hamburger Unternehmer Dr. Michael Otto hat dafür eine Erklärung: Der nicht nachhaltige Umgang mit dem "Kapitalstock Natur" sei auch darauf zurückzuführen, dass die Natur gratis zu haben ist, ihr Verbrauch nichts kostet, obwohl er Schäden anrichtet. Die Michael-Otto-Stiftung für Naturschutz widmete dem Thema gestern ein Symposium mit renommierten Experten unter dem Titel "Natur frei Haus - über den riskanten Umgang mit dem Marktfaktor Natur".

Das Motto "was nichts kostet, das ist auch nichts" sei in Bezug auf die Natur ein fataler Irrtum, warnte der Gastgeber. Gesunde, artenreiche Ökosysteme produzierten Nahrungs- und Arzneimittel, seien Klima- und Küstenschützer, lieferten Trinkwasser, schützten vor Erosion, so Otto - "um es auf den Punkt zubringen: Biologische Vielfalt ist das Fundament unseres Lebens und Wirtschaftens."

Mehrere Vorträge lobten die Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Pavel Sukhdev, der die ökonomischen Verluste der Biologischen Vielfalt (Biodiversität) in Zahlen fasst. Der Endbericht soll 2010 präsentiert werden. Ein Zwischenbericht kommt zu dem Schluss, dass, wenn die Naturzerstörung anhält, bis 2050 Wohlstandseinbußen von sechs bis acht Prozent des Weltbruttosozialprodukts möglich sind, weil ökologische Dienstleistungen der Natur verloren gehen.

Heute stünden Entscheider vor der Wahl zwischen kurzfristigem Profit durch Naturzerstörung oder langfristigem Nutzen durch Naturerhalt, beschreibt Prof. Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Leipzig) das Dilemma. Wenn jedoch die Natur einen Wert hat, könnte dieser mit anderen Werten verglichen werden, könnten die vielfältigen Dienstleistungen addiert und zukünftige Werte sichtbar gemacht werden, so Hansjürgens. "Es können neue Märkte geschaffen werden. So wie es im Rahmen des Klimaschutzes den Handel mit den CO2-Zertifikaten gibt, könnte es zum Schutz der Biodiversität einen Lebensraumhandel geben."

Gerd Billen, Vorstand des Vereins Verbraucherzentrale Bundesverband, sieht neben der Politik die Unternehmen gefordert: Sie seien ein entscheidender Partner bei der Sensibilisierung der Verbraucher für das Thema biologische Vielfalt. Dabei stünden nicht Einzelinitiativen zur Sicherung von Rohstoffquellen im Vordergrund, sondern "ein vernetztes Vorgehen der Akteure zur Verbesserung der Biodiversität in bestimmten Regionen".

Bewusst konsumierende Verbraucher - das ist dem Sozialpsychologen Prof. Harald Welzer, Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, zu wenig. Er fordert einen ganz neuen Lebensstil. "Wir sind Oiloholiker: Keine Stunde am Tag vergeht ohne Energieverbrauch. Wo wir auch sind, brauchen wir Licht, beheizte Räume, verbrauchen Energie in Verkehrsmitteln." Dass wir trotz des Wissens um die Klimaproblematik munter so weiterleben wie bisher, benennt Wenzel mit dem Fachbegriff der partikulären Rationalitäten, will sagen: "Es gehört zur Grundausstattung der Gesellschaft, Widersprüche auszublenden, zu ignorieren, gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen. Wir verstellen uns dauernd, verhalten uns unterschiedlich als Vater, als Forschungsleiter, als Skatbruder."

Die Tatsache, dass der Mensch dazu neigt, die Realität so zu interpretieren, wie es ihm am besten passt, führt Welzer zu der Erkenntnis, dass es überhaupt keine Brücke vom Wissen zum Handeln gibt. Er schlägt den umgekehrten Weg vor: Wer sich praktisch mit dem Naturschutz oder mit dem Klimaschutz beschäftigt, rufe automatisch auch das Wissen zu diesen Themen ab: "In Freiburg gibt es eine Klimaschutzschule, in der die Schüler Besuchern oder Neulingen die Energietechnik vorführen. Wenn sie dann nach Hause kommen, beanstanden sie den Standby-Betrieb des Fernsehers. Und Mutter darf sie nicht mehr mit dem durstigen Offroad-Fahrzeug zur Schule fahren."

Der renommierte Naturschützer und Biologe Prof. Michael Succow appellierte an die 140 Teilnehmer aus Unternehmen, Politik und Umweltverbänden, die Spielregeln der Natur einzuhalten: "Das Wachsen ohne zu zerstören ist ein Naturphänomen. Der vernunftbegabte Mensch hat dies innerhalb der 2,7 Millionen Jahre seines Bestehens nicht gelernt. Oder wie es Frederic Vester ausdrückt: Von Natur zu lernen heißt, von einem Unternehmen zu lernen, das seit 60 Millionen Jahren nicht pleitegegangen ist."