Spezialmikrofone im Südpolarmeer registrieren in Meerestiefen tierische Pfiffe und Gesänge, aber auch geheimnisvolle Töne. Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts aus Bremerhaven suchen nach den Urhebern - müssen manchmal aber passen.

Ein Poltern und Krachen lässt Zuhörer zusammenzucken, dann herrscht Stille. Als Nächstes ertönt ein sirenenartiger Gesang, ein auf- und abschwellendes Pfeifen oder ein dumpfes, gleichmäßiges Geräusch wie der Takt eines Riesenherzens. Es ist eine geheimnisvolle Welt, in die Olaf Boebel und sein Team vordringen. Mit Unterwassermikrofonen belauschen die Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, was unter dem Eis des Südpolarmeeres vor sich geht. Beim ersten Hören sind die akustischen Botschaften aus der Unterwasserwelt kaum zu deuten. Den Wissenschaftlern aber verraten sie viel über das Tierleben der Antarktis. Und vielleicht kann die Abhöraktion sogar die Folgen des Klimawandels dokumentieren.

Seit Dezember 2005 läuft das Lauschprogramm "PALAOA". Das ist nicht nur die Abkürzung für "Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean" (Mehrjähriges akustisches Observatorium im Antarktischen Ozean), sondern auch das hawaiische Wort für Wal. Damit deutet der Projektname an, wer mit den Unterwassermikrofonen belauscht wird. "Wale und andere Meeressäuger haben ein großes Repertoire von Lauten, die sie zur Jagd, Orientierung und Kommunikation nutzen", sagt Boebel, der am AWI die Forschungsgruppe für Ozeanische Akustik leitet. Ihre Stimmen verraten etwas über Aufenthaltsorte und Wanderrouten, über Bestandsgrößen und Sozialverhalten dieser Tiere.

In anderen Weltregionen befestigen Wissenschaftler die Spezialtechnik an Bojen oder verankern sie am Meeresgrund. Doch die auf dem Wasser treibenden Eisschollen und die den Boden umpflügenden Eisberge der Antarktis würden nicht viel davon übrig lassen. Der sicherste Platz für die "Hydrophone" genannten Lauschgeräte sind schwimmende Gletscherzungen, die weit ins Meer ragen. "Auf einem solchen Eisschelf haben wir für unsere Horchstation eine Stelle ausgesucht, die möglichst nahe an der Eiskante liegt, aber nicht so bald abbrechen wird", sagt Boebel. Etwa 15 Kilometer nördlich der deutschen Neumayer-Forschungsstation steht der mit Messtechnik vollgestopfte PALAOA-Container auf dem Ekström-Eisschelf. Mit einem selbst entwickelten Heißwasserbohrer haben Mitarbeiter Löcher durch den bis zu 100 Meter dicken Eis-Panzer gebohrt und zwei Unterwassermikrofone versenkt.

Ein im Container stehender Computer zeichnet die Daten auf und sendet sie drahtlos an die Neumayer-Station. Von dort werden die Informationen per Satellit auf die AWI-Computer in Bremerhaven übertragen. In Echtzeit können die Forscher verfolgen, was sich im Südozean tut. Selbst im Winter, wenn der Lauschcontainer für Monate nicht erreichbar ist, sind sie mitten im Geschehen. Ein Batteriewechsel ist trotz eisiger Temperaturen nicht nötig, weil sich der Container mithilfe eines Windgenerators, einer Brennstoffzelle und einer Solaranlage selbst mit Energie versorgt.

Aus den gewaltigen Datenmengen brauchbare Informationen zu filtern ist eine Herausforderung. "Kein Mensch kann das alles bewusst durchhören, ohne wahnsinnig zu werden", sagt der AWI-Mitarbeiter. Also belassen es die Forscher bei Stichproben, um interessante Laute aufzuspüren und diese genauer zu analysieren. Zudem arbeiten sie an Computerprogrammen, die Geräuschmuster erkennen und so das Vorkommen verschiedener Arten identifizieren können.

Was aus den Tiefen des Südpolarmeeres zu den Forschern dringt, sind die überraschend vielfältigen Geräusche von Eis. Da hört man, wie Eisplatten aneinanderreiben, wie Schelfeis-Stücke polternd abbrechen und ins Wasser klatschen oder wie zwei Eisberge krachend zusammenstoßen. "Manchmal ist eine Art metallisches Heulen zu hören, das wir nicht zuordnen konnten", berichtet Boebel. Doch als die aufs Meer gerichtete Kamera auf dem Dach des Containers Bilder von einem vorbeitreibenden Eisberg zeigt, ist klar: Auch Eisberge können erstaunlich lebendig klingende "Gesänge" hervorbringen. Wie das abläuft, ist unklar.

Inmitten dieser Geräuschkulisse hören die Forscher immer wieder die Laute von Lebewesen. "Die erkennt man oft daran, dass sie sehr regelmäßig sind", sagt Boebel. Vergleiche mit bereits bekannten Lautäußerungen und Sichtungen von Tieren in der Nähe helfen, die Stimmen zuzuordnen. So haben die Forscher die Rufe von Weddell-Robben, Krabbenfresser-Robben, Ross-Robben und Seeleoparden identifiziert, auch Orcas, Blauwale, Buckelwale und Finnwale verrieten sich durch Pfiffe und Gesänge.

In manchen Fällen hat die Horchaktion zu neuen Erkenntnissen über die Lebensgewohnheiten von Meeressäugern geführt. So hatten Biologen bisher angenommen, dass Buckelwale zwischen Mai und Oktober die Antarktis meiden, weil das Meer dann komplett zugefroren ist. Doch mit Ausnahme einer kurzen Phase zwischen Mai und Juni haben die Hydrophone das ganze Jahr Buckelwale aufgenommen.

Auch über das Zusammenleben verschiedener Arten haben die Mitarbeiter Neues erfahren. Die pfeifenden und zwitschernden Gesänge der Weddell-Robben verstummen, wenn Ross-Robben ihre Stimmen erheben. "Möglicherweise lohnt es sich für die Weddell-Robben nicht, gegen die Geräuschkulisse anzurufen, weil ihre Stimme ohnehin nicht zu Artgenossen durchdringen.

Manche akustische Botschaft stellt die Forscher vor größere Rätsel. So ertönt mitunter ein stundenlanges gleichmäßiges Quaken, das bisher niemand identifizieren konnte. "Es könnte sich um die Rufe von Zwergwalen handeln", vermutet Boebel.

Außerdem wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob wandernde Meeressäuger wegen des Klimawandels früher oder später in die Antarktis zurückkehren und ob der Eisverlust größer wird. Denn das Ohr im Ozean kann sogar die "nur" hausgroßen oder noch kleineren Eisstücke erfassen.

Originalgeräusche aus dem Südpolarmeer unter: http://www.abendblatt.de/meereslauschen