Schimpansen lesen keine Zeitung und schreiben keine Bücher - aber kulturlose Banausen sind sie deshalb noch lange nicht.

Vielmehr könnten die Menschenaffen in freier Wildbahn eine Art von Kultur etabliert haben: Denn vor eine neue Aufgabe gestellt reagieren die Schimpansen zweier unterschiedlicher Gruppen mit unterschiedlichen Lösungsstrategien. Das berichtet ein internationales Forscherteam im Fachblatt "Current Biology". Dieses unterschiedliche Verhalten lasse sich am ehesten mit dem Vorhandensein einer Art kulturellen Wissensschatzes erklären, sagen die Wissenschaftler und liefern mit ihrer Verhaltensstudie neue Argumente für die Diskussion um die Kultur-Frage.

"Die plausibelste Erklärung für den Unterschied im Werkzeuggebrauch ist, dass Schimpansen auf bereits existierendes kulturelles Wissen zurückgreifen, um zu versuchen, die neue Aufgabe zu lösen", erläutert Klaus Zuberbühler von der University of St. Andrews. "In anderen Worten: Kultur hilft ihnen dabei, ein neues Problem zu bewältigen." In diesem Sinne bedeutet der Begriff Kultur, dass sich durch soziales Lernen wie etwa Imitation eine für eine Population charakteristische Auswahl von Verhaltensweisen entwickelt hat.

In ihren Feldversuchen hatten Zuberbühler und Kollegen Östliche Schimpansen (Pan troglodytes schweinfurthii) aus zwei Gemeinschaften in Uganda in eine für die Primaten völlig neue Situation gebracht. Sie stellten die Tiere vor die Aufgabe, Honig aus in einen Holzklotz gebohrten Löchern zu erbeuten. Schimpansen der Kanyawara-Gruppe aus dem Kibale-Nationalpark nutzen gelegentlich Stöcke, um Honig zu ergattern. Sie besorgten sich auch angesichts der neuen Situation Stöcke, um an den angebotenen Honig heranzukommen. Schimpansen der Sonso aus dem Budongo-Waldgebiet dagegen verließen sich dazu entweder schlicht auf ihre Finger oder setzten einen aus zerkauten Blättern hergestellten Schwamm ein, mit dem die Tiere sonst Wasser aus Baumhöhlen aufsaugen.

Dieses Verhalten deckt sich mit den jahrelangen Studien der Forscher in freier Wildbahn. Die Beobachtungen zeigten unterschiedliche Herangehensweisen bei unterschiedlichen Schimpansen-Gruppen. So nutzen etwa die Kanyawara-Schimpansen regelmäßig Stöcke als Werkzeuge, Sonso-Schimpansen dagegen nicht. Beide Gruppen verwenden aber Blätterschwämme. Die schwer zu beantwortende Frage aber blieb offen: Sind diese Gewohnheiten tatsächlich kultureller Natur oder spielen andere Faktoren wie etwa Vererbung oder der Lebensraum eine Rolle? "Mit unseren Experimenten können wir ausschließen, dass die beobachteten Verhaltensunterschiede im Werkzeugeinsatz von Schimpansen das Ergebnis genetischer Unterschiede sind, weil wir Angehörige derselben Unterart getestet haben", sagt Zuberbühler. Ebenso lassen sich Umwelteinflüsse ausschließen, da die Tiere vor ein völlig neues Problem gestellt wurden. Die Forscher waren laut Zuberbühler überrascht, wie schnell sich die Schimpansen auf die neue Situation einstellen. "Die kulturellen Unterschiede müssen demnach tief in ihrer Denkweise verwurzelt sein", vermutet der Forscher.

Bereits vor zehn Jahren hatten Wissenschaftler im Journal "Nature" verkündet, dass offensichtlich unterschiedliche kulturelle Traditionen, die durch komplexe Lernprozesse an nachfolgende Generationen weitergegeben werden, zu unterschiedlichen Verhaltensweisen von Primatengruppen führen - fast so wie beim Menschen.