Politik-Talente gibt es nicht nur bei Menschen, meinen Verhaltensforscher und untersuchen Schimpansen. Deren Kriterien bei der Partnerwahl: Sympathie und Macht.

Machtspiele, Zweckbündnisse und Wahlkämpfe galten lange als typisch menschliche Erfindungen. Dabei ist der Hang zum Koalitionenschmieden älter als die Menschheit. Das Faible für Intrigen allerdings auch.

Winkerkrabben zum Beispiel gelten nicht als die Intellektuellen des Tierreichs. Wie ein erfolgreicher Pakt funktioniert, wissen sie aber durchaus. An den Gezeitenküsten Australiens hocken die Männchen in selbst gegrabenen Höhlen, die sie gegen obdachlose Konkurrenten erbittert verteidigen. Schwächere Höhlenbesitzer werden dabei oft von kräftigeren Nachbarn unterstützt. Diese Beobachtung hat Patricia Backwell und ihre Kollegen von der Australian National-Universität in Canberra verblüfft. Denn der Helfer riskiert nicht nur Verletzungen, sondern auch den Verlust des eigenen Domizils, das er während des Kampfes unbewacht lässt.

Und das alles, um einen schwächlichen Nachbarn zu retten, der sich mangels Kraft bei ähnlichen Gelegenheiten nicht mal revanchieren kann. Die Forscher sehen nur eine Erklärung für dieses Verhalten: Die Helfer wollen ihre vertrauten Nachbarn behalten. Sonst könnte statt ihrer ein stärkerer Unruhestifter nebenan einziehen, mit dem man sich erst wieder zusammenraufen müsste.

Dieses für einen Krebs erstaunlich komplexe strategische Verhalten stellen Schimpansen bei Weitem in den Schatten. In seinem zum Klassiker gereiften Buch "Chimpanzee Politics" (Deutsch: "Unsere haarigen Vettern"), beschrieb der Verhaltensforscher Frans de Waal Anfang der 80er-Jahre regelrechte Polit-Dramen, die sich zwischen den Schimpansen im Zoo der niederländischen Stadt Arnheim abspielten. Machtkämpfe, Verrat und zerbrechende Bündnisse inklusive. "Das Buch wird heute oft von amerikanischen Politikern gelesen", sagt de Waal, der mittlerweile das Primatenforschungszentrum Living Links der Emory-Universität in Atlanta leitet. Die Polit-Profis dürften vor allem bei ihren männlichen Schimpansen Parallelen entdecken. So wirft sich ein Schimpanse bei Konflikten nur für bestimmte Artgenossen in die Bresche.

Bei der Wahl dieser Koalitionspartner zählen für Weibchen vor allem Verwandtschaft und Sympathie, bei Männchen geht es eher um Macht. Dabei wissen sie genau, welche Artgenossen die wertvollsten Verbündeten sind. Die werden mit Berührungen und Fellpflege-Angeboten umworben. Wenn das Kalkül aufgeht, können zwei schwächere Männchen sogar ein stärkeres entthronen.

Auch die Unterstützung der Weibchen kann einen Machtkampf entscheiden. Denn diese sind zwar schwächer, dafür aber untereinander gut vernetzt. Kein Männchen würde den Zorn eines Weibchens riskieren, wenn dieses ein Dutzend Sympathisantinnen mobilisieren kann. Daher hat Frans de Waal beobachtet, dass sich die in Rangkämpfe verwickelten Männchen um die Gunst der Weibchen bemühen. Sie pflegen ihnen das Fell und spielen geduldig mit dem Nachwuchs. Den Forscher erinnert das an menschliche Politiker, die sich im Wahlkampf mit Kindern fotografieren lassen und plötzlich ein Ohr für die Interessen von Frauen haben.

Ein erfolgreicher Wahlkampf ist allerdings auch bei Schimpansen keine Garantie für langen Machterhalt. Gerade die Zweckbündnisse der Männchen sind oft brüchig, weil sich die strategische Lage ändern kann. Zwei Affen, die gerade noch engste Verbündete waren, können kurz darauf erbitterte Rivalen werden. Dann arbeiten sie mit allen Tricks. Sie gehen dazwischen, wenn der Konkurrent versucht, Unterstützer zu gewinnen. Oder sie provozieren Auseinandersetzungen zwischen zwei Rivalen, um als lachender Dritter zu profitieren.

"Für solche Manöver muss ein Tier nicht nur die eigenen Bündnisse und Feindschaften im Blick haben, sondern auch die der Gruppenmitglieder", sagt Thomas Bugnyar, der sich an der Uni Wien und der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau mit Raben beschäftigt. In einem Konflikt sei es nicht gut, den besten Freund des Gegners um Hilfe zu bitten. Bugnyar ist überzeugt, dass nicht nur Schimpansen soziales Gespür aufbringen. In 15 Jahren Raben-Forschung haben ihn die Vögel immer wieder mit geistigen Leistungen überrascht. Da scheint ein Talent für Politik nahezuliegen.

"Raben kooperieren, um an Nahrung heranzukommen", sagt der Forscher. Die Ausbeute wollen sie aber für sich behalten. Also versuchen sie, das Futter vor dem Artgenossen zu verbergen. "Dabei sind sie sich im Klaren, ob sie beobachtet werden", sagt Bugnyar. Mit größter Disziplin beherrschen sie sich, bis die Konkurrenz anderweitig beschäftigt ist, und leeren dann ihr Versteck. Oder sie tun so, als würden sie die Beobachter nicht bemerken, und bringen ihre Vorräte scheinbar woanders hin. In Wirklichkeit bleibt alles am Platz, die Umzugsaktion ist nur vorgetäuscht. "Solche Betrugsmanöver sind eine große geistige Herausforderung", sagt Bugnyar. Doch die Vögel scheinen Intelligenz und Raffinesse nicht nur zu nutzen, wenn es ums Fressen geht. In einem Projekt namens "Raven Politics" vergleichen Bugnyar und seine Kollegen die Politikfähigkeit von Raben und Schimpansen. "Wir finden erstaunliche Parallelen."

"Wenn ein Rabe Prügel bezogen hat, setzt sich oft ein befreundetes Tier daneben und krault ihm mit dem Schnabel das Gefieder", sagt Bugnyar. Das baut Stress ab und macht den Verbündeten schnell wieder fit. Dafür fordert der Unterstützer allerdings Solidarität. "Man fühlt sich an Vorgänge erinnert, die man im Kindergarten beobachten kann", sagt Bugnyar. Genau das sei spannend. Denn letztlich gehe es ihm nicht nur um Raben und Schimpansen, sondern auch um den Menschen. Er will herausfinden, unter welchen Bedingungen Lebewesen ein Gespür für Politik entwickeln und wie die Evolution verlaufen ist - von der Fellpflege zu Koalitionen.