Zehn Millionen Exponate lagern in den zoologischen Sammlungen der Uni Hamburg. Ein Schatz von internationaler Bedeutung.

Hamburg. Zehn Millionen Exponate lagern in den zoologischen Sammlungen der Uni Hamburg. Das sei ein Schatz von internationaler Bedeutung, urteilen die Gutachter des Wissenschaftsrats. Ein Besuch im Archiv des Lebens. Skorpione aus der mexikanischen Wüste, Antilopenskelette aus Südafrika, Frösche aus Costa Rica, Asseln aus dem Südpolarmeer, Schmetterlinge aus Mallorca, Nattern aus Borneo, Fische aus der Tiefsee - die schmucklose Waschbetonfassade an der Bundesstraße in Hamburg-Rotherbaum lässt nicht vermuten, dass sich hinter ihr "zoologische Sammlungen von internationalem Rang" verbergen. Doch genau zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten über das Zoologische Museum Hamburg (ZMH), das die renommierten Berater von Bund und Ländern jetzt veröffentlichten.

Zehn Millionen Sammlungsstücke beherbergt das ZMH, jedes ein Puzzleteilchen der Geschichte des Lebens.

Sie lagern, ordentlich sortiert und katalogisiert, auf Hunderten von Regalmetern hinter fest verschlossenen Türen. Kurator Dr. Jakob Hallermann öffnet eine rotbraune Stahltür im Keller - 17 000 in Alkohol eingelegte Typen - Amphibien und Reptilien - stehen dicht an dicht in den Regalen. Sie schimmern, als seien sie in Bernstein fixiert. Ganz vorne steht ein "Wohnhaus für Frösche". In einem Weckglas stecken 14 kleinen Behälter, in denen Minifrösche liegen. "So trocknen die Präparate mit Sicherheit nicht aus."

Es sind aber nicht diese Frösche oder andere Lehrpräparate, die das Renommee der Sammlung begründen. Es sind insbesondere die Exemplare in den Gläsern, die rote Bänder tragen. Sie stehen, gut gesichert, in Stahlschränken. Diese Tiere haben Naturforscher erstmals als neue Art beschrieben. Die sogenannten Typus-Präparate - insgesamt besitzt das ZMH 27 153 dieser einzigartigen Exemplare - sind so wertvoll wie Originalmanuskripte von Goethe oder Partituren von Bach.

Das älteste Typus-Präparat schlummert bereits seit 184 Jahren im Alkohol. Die Argentinische Buntnatter wurde 1825 von dem Rheinland-Pfälzischen Prinzen Maximilian Wied zu Neuwied, einem deutschen Naturforscher, erstmalig bestimmt. Zu den Raritäten der Sammlung gehören je zwei Kapverdische Riesenskinks sowie Round-Island-Boas, die längst ausgestorben sind, und eine Korallenschlange, die ebenfalls weltweit nur einmal beschrieben worden ist.

Die Mehrzahl der Präparate lagert in Alkohol, mindestens 1000 Liter müssen jährlich nachgefüllt werden, weiß Hallermann. Während des Zweiten Weltkriegs wurden diese Teile der Sammlung wegen Brandgefahr in einen U-Bahn-Schacht ausgelagert und überstanden so unversehrt die Hamburger Bombennächte. Allerdings zogen sie Räuber an: Diese klauten 1946 - wie Siegfried Lenz später in "Lehmanns Erzählungen" schildert - Alkohol aus den Beständen des ZMH und verkauften ihn auf dem Schwarzmarkt. Der Schaden hielt sich in Grenzen. Die Fischsammlung, die etwa 258 000 Exemplare umfasst, ist bis heute die größte in Deutschland. Von 25 000 bekannten Fischarten lagern 8 100 in der Zoologie - darunter viele Süßwasserarten, die bereits im 20. Jahrhundert in Europa und Nordamerika ausgestorben sind. Die umfangreiche Sammlung von Haien und Rochen zählt zu den bedeutendsten in Europa.

Auch die Teile der Sammlung, die die Bomben vernichtet hatten, sind wieder aufgeblüht. So entwickelte sich die Insektensammlung nach ihrer Zerstörung 1943 durch Zukauf und wissenschaftliche Kooperationen wieder zu einer der wichtigsten deutschen Sammlungen. Beeindruckend ist auch die schier unüberschaubare Zahl der Skelette von Primaten, Fledermäusen, Walen, Raubtieren, Meeressäugern, Hirschen, Wildschweinen oder wild lebenden Huftieren. "Mit unseren Exemplaren, die aus dem südlichen Afrika stammen, konnte erstmals nachgewiesen werden, dass an Huftierzähnen die Niederschläge im Lebensraum abgelesen werden können", erzählt Zoologe Thomas Kaiser. Damit erschlossen sich die Wissenschaftler eine neue Methode, um mehr über den Lebensraum der Tiere zu erfahren. Die Tiere können also als Schlüssel dienen, um Klimafaktoren nachzuzeichnen.

Das ist ein Beispiel, wie die konkrete Arbeit an Sammlungsstücken Fortschritte in der Klimaforschung oder auch der Evolutionsbiologie bringt. Deshalb reicht es nicht, wie einst der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger vorschlug, alle Sammlungsstücke zu digitalisieren und auf CDs zu pressen. "Wir brauchen handfeste Präparate. Wenn ich Verwandtschaften klären will, muss ich genetische Analysen oder molekularbiologische Methoden anwenden können, wenn ich eine Schlange identifizieren will, muss ich die Schuppenreihen rund um den Bauch zählen können", sagt Zoologe Alexander Haas.

Präparierte Knochen, ausgestopfte Vögel, getrocknete Schmetterlinge, eingelegte Fische, Schlangen oder Echsen - "die Universität Hamburg", kommentiert Professor Peter Strohschneider, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, "verfügt mit den wissenschaftlichen Sammlungen über einen großartigen Schatz". Doch pfleglich geht die Uni mit diesem Schatz nicht um, wie das Gutachten feststellt. Für den Erhalt und den sachgerechten Aufbau der Sammlung sei es unerlässlich, mahnen die Gutachter, diese in neue Räume zu verlagern und die fachgerechte Betreuung zu verbessern. Eine räumliche Nähe "zum deutschlandweit in dieser Form und Zusammensetzung einmaligen innerstädtischen Klimacampus" wäre dabei ausgesprochen vorteilhaft. "Uns wurden einige Hausaufgaben gestellt", sagt Alexander Hass. Bis 2012 müssen sie erledigt sein. Dann knöpft sich der Wissenschaftsrat die Uni wieder vor.