Nachwachsende Rohstoffe dienen gewöhnlich entweder als Öko-Material oder als Energieträger. Ein Betrieb im Odenwald nutzt sie gleich doppelt.

Pflanzenmasse zugleich energetisch und stofflich nutzen - das ist der Kerngedanke der Bioraffinerie in Brensbach. "Was wir hier machen, ist eine Weltneuheit", betont Roland Rüegsegger, Geschäftsführer der Biowert Industrie GmbH im nördlichen Odenwald. Seit zwei Jahren betreibt die Firma ihre neuartige Anlage, mit der sie aus Gras sowohl Energie (Strom, Wärme) als auch Dämm- und Faserverbundstoffe sowie Düngersubstrate gewinnt.

Dazu durchläuft das Gras verschiedene Stationen: Vom Fahrsilo geht es in die Faseraufbereitung. Dort wird die im Gras enthaltene feste Cellulose abgetrennt, um die Fasern zu Dämmstoff oder als Zuschlagsstoff in der Kunststoffproduktion einzusetzen. Vom Rest werden zunächst die Eiweiße genutzt, indem sie per Fermentierung zu Aminosäuren aufgespalten werden. Was dann noch übrig bleibt, wird in der Biogasanlage vergärt, um mit dem Gas Strom und Wärme zu erzeugen. Die Gärreste dienen anschließend als hochwertiger Dünger.

Bauern in der Umgebung liefern das Gras. Sieben Landwirte bauen derzeit auf rund 700 Hektar Weidel- und Wiesengras an. Drei Biomasselieferanten fahren zusätzlich Rindergülle in die integrierte Biogasanlage. Geschnitten werden die Gräser, bevor sie blühen. Dann ist der Wassergehalt sehr hoch und die Cellulose ist noch weich. "Wir verarbeiten nur frische, jungfräuliche Biomasse", sagt der Diplombiologe in der Produktionshalle, in der im mechanischen Aufschlussverfahren die Grasfaser herausgetrennt wird. "Nur so erhalten wir eine optimale Faser für unseren Dämmstoff." Getrocknet und lose abgesackt lässt er sich zur Isolation in Hohlräume im Dach, Boden- und Wandbereich einblasen.

Die feste Cellulose-Fraktion wird alternativ in einer zweiten Produktionsschiene unter dem Markennamen AgriPlast zu kleinen Pellets verarbeitet, die als Faserverbundmaterial im Spritzgussverfahren bei der Herstellung von Kunststoffen (Polyethylene oder Polypropylene) beigegeben werden. Biowert verkauft das rieselfähige Granulat direkt an Kunststoffhersteller oder lässt es von Fremdfirmen zu Formteilen für das eigene Produktsortiment verarbeiten. So stellt Biowert Stapelkästen, Unterputzdosen, Becher und Distanzscheiben her und verkauft sie über das Internet. Die Fließfähigkeit des Granulats ist im Produktionsprozess günstig; es ist leicht, hat gute Brandschutzeigenschaften und spart rund 40 Prozent Erdöl ein.

In Sichtweite der Odenwälder Bioraffinerie liegt der Hof von Landwirt Uwe Böhm. Er kultiviert vor allem Kartoffeln, in diesem Jahr aber erstmals auch Grünroggen für die Biowert. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Faser von Grünroggen im Kunststoffverbund bessere Eigenschaften aufweist als Gras, deshalb sind wir froh, dass wir mit Uwe Böhm jemanden gefunden haben, der uns den Grünroggen in der gewünschten Qualität liefert", freut sich Rüegsegger über die Experimentierfreudigkeit vom benachbarten Kartoffelbauern.

"Ich hoffe darauf, dass sich die Zusammenarbeit in der nächsten Zeit noch verstärkt", erwidert Böhm. Der 49-Jährige wünscht sich vor allem eine intensivere Nutzung der Gärprodukte, die am Ende der Bioraffinerie anfallen und den Stoffkreislauf vom Feld über die energetische und stoffliche Nutzung zurück zum Feld schließen. Drei Gärprodukte gibt es im Angebot: normale Gülle, Flüssigkonzentrat und Feststoffdünger aus der Biogasanlage. "An diese Gärprodukte müssen wir uns ackerbaulich erst noch vorsichtig herantasten", sagt der Ackerbauprofi Böhm, "wir müssen beobachten, wann der darin enthaltene Stickstoff tatsächlich freigesetzt wird. Auch die Ausbringung müssen wir noch besser in den Griff bekommen."

Biowert schätzt ihren innovationsoffenen Partner aus der Landwirtschaft. Obwohl das Düngergeschäft noch in den Anfängen steckt, will man in den nächsten Jahren mit den Gärprodukten, deren Wassergehalte mit der Abwärme aus der Biogasanlage entzogen wird, Umsätze machen. Positiver Nebeneffekt: Der Wasserverbrauch der Bioraffinerie sinkt, weil das entzogene Wasser in den Prozess zurückgegeben wird.

Als Biowert vor zwei Jahren die damals stillgelegte Biogasanlage übernahm, baute sie die Grasveredelung hinzu. Der junge Betriebsleiter Dennis Bollin ist zuversichtlich, dass die wirtschaftlich eigenständig arbeitende Biogas-Abfallanlage mit einem jährlichen Input von aktuell 45 000 Tonnen (je ein Drittel aus Speise- bzw. Speiseeisresten, Rindergülle und Gras) schon bald auf 70 Prozent Auslastung hochgefahren werden wird. Die Abwärme mit einer Leistung von 1,5 Megawatt wird komplett für die Grasveredelung gebraucht. Dafür streicht die Biogasanlage einen Kraft-Wärme-Koppelungs-Bonus von zwei Cent ein.

Während die energetische Seite schon schwarze Zahlen schreibt und sich die Faserprodukte langsam im Markt etablieren, steckt das selbst entwickelte Verfahren zur Erzeugung von hochwertigen Aminosäuren aus der flüssigen Grasfraktion noch in den Anfängen. Kommt diese Produktionsschiene erst einmal auf Touren, dann sollen die Aminosäuren in Hühner- und Schweinefutter, aber auch in der Erzeugung von Aromen sowie in kosmetischen Erzeugnissen eingesetzt werden.

An Ideen für neue Produkte fehlt es der Geschäftsführung also nicht. Eher schon an einer professionellen Vermarktung. Deshalb soll demnächst eine Marketingorganisation die Nachfrage nach den neuen Produkten aus Gras ankurbeln.