Eigentlich legen erst die einen Meter großen Exemplare ihre Eier ab. Doch weil sie häufig weggefischt werden, haben jetzt jene Artgenossen einen Überlebensvorteil, die schon mit 65 Zentimetern geschlechtsreif sind.

Wenn die Fangflotten heute kleinere Fische als früher aus den Weltmeeren ziehen, sind sie an dieser Entwicklung selbst schuld. Denn die Fischer greifen direkt in Abläufe der Evolution ein. Die weitaus häufigste Todesursache für Speisefische ist schon längst nicht mehr das Maul eines Hais, sondern es sind die Netze und Haken der Fangflotten. Dass der Mensch dadurch die durchschnittliche Größe der Fische verändert, haben Wissenschaftler jetzt eindrucksvoll nachgewiesen.

Ulf Dieckmann vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalysen (IIASA) im österreichischen Laxenburg erläutert das am Beispiel des Kabeljau: Seit Jahrzehnten holen die Fangflotten vor allem die großen Exemplare aus dem Wasser, weil diese am meisten Geld bringen. Wie die meisten Fischarten wird ein Kabeljau aber erst beim Erreichen einer bestimmten Größe geschlechtsreif. In Gegenden ohne Fischerei legten Kabeljau-Weibchen ihre ersten Eier daher früher erst, wenn sie mindestens eine stattliche Größe von einem Meter erreicht hatten.

Übrig bleiben daher vor allem die kleineren Kabeljaue. Unter ihnen gibt es Exemplare, die aus der Reihe tanzen, und zum Beispiel bereits mit einer Länge von 65 Zentimetern erste Eier legen. Weil sie viel seltener als ihre größeren Artgenossen gefangen werden, vermehren sich diese kleinen Fische besser und übernehmen in der Kabeljau-Welt rasch die Mehrheit - sie profitieren plötzlich und erzielen dadurch einen evolutionären Vorteil. Diese Annahme ist keine nackte Theorie mehr, sondern lässt sich in der Realität gut beobachten: Wurde ein Kabeljau in den 1960er-Jahren noch ab einem Meter Größe geschlechtsreif, pflanzen sich diese Fische heute bereits mit einer Länge von 60 oder 65 Zentimetern fort: Die Kleinen kommen groß heraus. Dadurch verändern sich nun die gesamten Bestände.

Um diesen Effekt in den betroffenen Beständen umzukehren, müsste der Fischfang weltweit drastisch reduziert werden, fordern die Wissenschaftler. Oder zumindest müssten jene Fische geschont werden, die gerade geschlechtsreif werden, zeigen Modellrechnungen.

Weil natürliche Faktoren aber viel schwächer wirken als der menschliche Einfluss, dauert es viel länger, die Abnahme der Körpergröße wieder rückgängig zu machen.

IIASA-Forscher Ulf Dieckmann hat mit Computermodellen ausgerechnet, dass die Kabeljaue rund 250 Jahre brauchen würden, um ihre alte Durchschnittsgröße wieder zu erreichen, die sie noch vor vierzig Jahren hatten. Jedes Jahr ohne Reduktion der Fangzahlen kostet die Evolution demnach sechs Jahre, um den Eingriff der Fischer wieder rückgängig zu machen.

Genau wie ihre Profi-Kollegen auf dem Meer könnten auch die Angler und Fischer an den Flüssen und Seen die Evolution beeinflussen, vermutet Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität in Berlin.

Vor allem die Hobby-Petrijünger üben hier möglicherweise einen Einfluss aus, weil sie insgesamt viel mehr Beute aus dem Wasser ziehen als die professionellen Fischer. In Deutschland gehen sie nahezu an jedem noch so kleinen Wasserloch auf Fischfang. Dem Hecht könnte also die gleiche Entwicklung wie dem Kabeljau drohen, wie Modellrechnungen und Langzeitstudien zum Beispiel aus England zeigen.

In Kanada arbeitet IGB-Forscher Robert Arlinghaus an einer seit 25 Jahren laufenden Studie mit, die den Einfluss von Anglern auf Forellenbarsche (Micropterus salmoides) untersucht. Dazu lassen die Forscher Fische miteinander paaren, die sich besonders leicht fangen lassen.

Gleichzeitig kreuzen sie auch Exemplare, die kaum anbeißen. Bereits nach vier Generationen zeigen sich deutliche Unterschiede im Verhalten: Die Nachkommen der schlecht anbeißenden Tiere flüchten nicht nur vor einem Köder am Angelhaken, sondern verhalten sich ähnlich scheu auch in anderen Lebensbereichen: So bewachen die Männchen ihre Brut erheblich schlechter als die gut angelbaren Fische.

Auch die Fischerei in Flüssen und Seen sollte daher genauer als bisher beobachtet werden, meint Robert Arlinghaus.