Es gibt gute Gründe, sich dafür zu entscheiden - zum Beispiel, um Angst und Stress abzubauen, Medikamente zu reduzieren oder ganz auf sie zu verzichten.

"Schließen Sie die Augen und atmen Sie tief in den Bauch. Gehen Sie wieder in Ihren Tunesien-Urlaub 2007, machen Sie einen Strandspaziergang mit Ihrem Mann. Riechen Sie die Kräuter, spüren Sie die Wärme der Sonne auf Ihrem Gesicht und die Kühle des Marmorbodens unter Ihren Füßen." Mit diesen Worten schickt die Zahnärztin Dr. Jutta Wilhelm ihre Patientin Cornelia Hartmann noch mal auf die Reise - und das in der eher nüchternen Atmosphäre ihrer Zahnarztpraxis in Ochsenwerder. Die 39-Jährige gehört zu den 30 bis 40 Patienten, die die Zahnärztin unter Hypnose behandelt.

"Sie geben Ihren Mund zur Reparatur ab und sind mit Ihren Gedanken in Tunesien." Cornelia Hartmann liegt ruhig auf dem Zahnarztstuhl. Bevor die eigentliche Behandlung beginnt, setzt die Zahnärztin ihr einen Kopfhörer auf , über den sie Entspannungsmusik hört. Dann beginnt die Ärztin mit der professionellen Zahnreinigung, die ungefähr 15 Minuten dauert. Anschließend holt sie ihre Patientin zurück in die Wirklichkeit. "Ich zähle jetzt bis drei, und bei drei machen Sie die Augen auf."

Kurz darauf ist Cornelia Hartmann wieder im Hier und Jetzt. War sie mit ihren Gedanken ganz weit weg? "Ich habe alles mitbekommen, was hier vor sich ging, aber es war weit weg und rauschte an mir vorbei. Ich habe keine Schmerzen gespürt", sagt die Patientin. Sie ist schon länger bei Dr. Wilhelm in Behandlung. Bevor die Hypnose begann, haben die beiden in einem längeren Gespräch ein besonders angenehmes Ereignis aus dem Leben der Patientin durchgesprochen: den Tunesien-Urlaub. Diese Erinnerung wird jetzt bei jeder Behandlung genutzt, um die Patientin in Hypnose zu versetzen. "Aber die Patientin hat jederzeit alles unter Kontrolle", betont Wilhelm. Man dürfe sich das nicht vorstellen wie eine Showhypnose auf dem Jahrmarkt, sondern eher wie eine tiefe Trance, vergleichbar mit dem Zustand, in dem man sich befindet, wenn man einen spannenden Roman liest und alles um sich herum vergisst.

Um auf die Möglichkeiten der medizinischen Hypnose beim Zahnarzt aufmerksam zu machen, hat die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose (DGZH) am gestrigen "Tag der sanften Zahnheilkunde" eine bundesweite Aktion gestartet: 140 Praxen informierten darüber.

Für wen kommt die Hypnose infrage?

Die moderne medizinische Hypnose ist bei etwa 90 Prozent der Bevölkerung erfolgreich anwendbar, vor allem bei Menschen mit guter Konzentrationsfähigkeit, einer bildhaften Fantasie und Intelligenz. Ziel sei es, dass der Patient danach das Gefühl hat, sich gut erholt zu haben. Die Liste der Indikationen in der Zahnheilkunde ist lang. So kann die Methode angewendet werden, um bei Patienten Angst und Stress abzubauen, um Medikamente zu reduzieren oder möglicherweise ganz auf sie zu verzichten, zur Schmerztherapie und zur Behandlung von Kindern.

Nicht angewendet werden sollte diese Art der Behandlung bei psychischen Erkrankungen, Mangel an Konzentrationsfähigkeit und Vorstellungsvermögen, bei einer ungeklärten medizinischen Diagnose oder bei Zeitknappheit.

Die häufigsten Fragen

Auch wenn sich die Hypnose mittlerweile in der Fachwelt bereits einen festen Platz erobert hat, ist sie für viele Menschen immer noch ein Mysterium, behaftet mit Ängsten und Vorurteilen, zum Beispiel der Frage "Werde ich wieder wach?" Die Antwort der Fachgesellschaft: "In einer Praxis, in der seit 15 Jahren mit Hypnose gearbeitet wird, ist in all den Jahren kein Patient nicht mehr ,wach' geworden. Die Trance ist durch Konzentration und Involvierung gekennzeichnet. Da es sich im eigentlichen Sinne nicht um einen Schlafzustand handelt, ist es nicht vollkommen korrekt, von ,wieder aufwachen' zu sprechen." Auch die Angst, in diesem Zustand völlig willenlos zu sein, wird immer wieder geäußert: Aber, so die DGZH, der Patient sei in keiner Weise willenlos, sondern mit seinen inneren persönlichen Interessen derart beschäftigt, dass er einen besseren Zugang zu seinen eigentlichen Fähigkeiten hat. Er wird nur die Dinge äußern, die er auch wirklich preisgeben möchte. Zudem habe jeder ihrer Patienten die Möglichkeit, die Behandlung zu unterbrechen, sagt Dr. Wilhelm: "Für diesen Fall haben wir ein bestimmtes Handzeichen verabredet, das bedeutet 'Stopp'." Auch die Frage, ob damit wirklich Schmerzen vermieden werden können, wird häufig gestellt. "Schmerzfreiheit mithilfe von Hypnose lässt sich nur bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung erreichen. Schmerzreduktion ist aber bei 80 Prozent der Bevölkerung erreichbar. In der Regel genügt ein Viertel der üblichen Dosis an örtlichen Betäubungsmitteln, um völlige Schmerzfreiheit zu erreichen", so die DGZH.

Welche Ausbildung haben die Zahnärzte?

Jutta Wilhelm hatte die Hypnose für sich entdeckt, weil "wir Zahnärzte täglich konfrontiert sind mit der Angst der Patienten, und das ist sehr belastend". Sie hat deshalb eine Fortbildung absolviert, die von der DGZH zertifiziert ist. Die Fachgesellschaft bietet eine Ausbildung an, die sechs zweitägige Seminare und mindestens 32 Stunden Supervision umfasst. Darauf aufbauend gibt es weitere Kurse für die Spezialisierung auf bestimmte Gebiete wie Angst, Schmerz und Kinder.