Gewaltige Gasblasen rasen mit bis zu 3000 Kilometern pro Sekunde durchs All. Astrophysiker wollen Auswirkungen besser vorhersagen.

Die Sonne zeigt in den kommenden Wochen ein beeindruckendes Naturschauspiel: Dunkle Flecken werden sie zieren. "Zwei Jahre war die Sonne schlapp, jetzt sind die gewaltigen Kräfte in ihrem Innern wieder erwacht, wie die Sonnenflecken zeigen. Auf der Sonnenrückseite haben wir eine neue, aktive Region entdeckt", sagt Dr. Volker Bothmer vom Institut für Astrophysik an der Uni Göttingen.

Bothmer ist Projektleiter für die deutsche Beteiligung an Stereo (Solar Terrestrial Relations Observatory, siehe Extratext) und hat die 600-Millionen-Dollar-Mission der Nasa mit entwickelt.

Mit Stereo soll die brodelnde Oberfläche der Sonne erkundet, das Rätsel der solaren Stürme gelöst und Vorhersagen des Weltraumwetters möglich werden. "Jetzt, wo die Eruptionen auf der Sonne zunehmen, müssen wir mit starken Sonnenstürmen rechnen, die die Erde erreichen und hier für Chaos sorgen können."

Denn neben ihrem intensiven Licht sendet die Sonne einen kontinuierlichen Teilchenstrom, den Sonnenwind. Häufig schießt dieser in Form gewaltiger Gaswolken ins All. Diese Solarstürme, die 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ausbrechen, bereiten den Wissenschaftlern Kopfzerbrechen.

Welche gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen ein starker Sonnensturm haben kann, untersuchten US-Wissenschaftler im Auftrag der amerikanischen Regierung. Das Szenario, das die US National Academy of Science (NAS) kürzlich vorstellte, könnte einem Weltuntergangsfilm entstammen: Bis zu 80 Prozent der Stromnetze der USA könnten infolge eines starken Solarsturms ausfallen, Millionen Menschen wären binnen Sekunden ohne Strom und ohne Trinkwasser. Die Reparatur der Systeme würde mehr als zwölf Monate dauern. Derweilen müssten massenhaft Lebensmittel und Medikamente vernichtet werden, weil sie nicht mehr gekühlt werden könnten. Zudem würde der Handel, das Transport-, Kommunikations- und Navigationssystem zusammenbrechen, der Flugverkehr zum Erliegen kommen, Dutzende Satelliten ausfallen. "Wir bewegen uns immer mehr auf den Moment zu, wo es zu so einer Katastrophe kommen kann", warnt Daniel Baker im Magazin "New Scientist". Der Weltraumwetterexperte der Universität Colorado (Boulder) leitete die Studie. "Europa wäre in gleichem Umfang betroffen", sagt Bothmer und ergänzt: "Wir sind auf einen schweren Sonnensturm, der wie ein Hurrikan über die Erde ziehen würde, nicht vorbereitet."

In den vergangenen 150 Jahren spukte ein Dutzend derartiger Sonnenstürme auf der Erde herum. 1859 waren beim Aufbau des Eisenbahnnetzes in England Telegrafenleitungen gestört. 1989 brach in Quebec das Stromnetz zusammen. Fernmeldesatelliten fielen aus, das Funknetz war unterbrochen. Zudem heizte sich die Erdatmosphäre auf, sodass Satelliten aus ihren Umlaufbahnen sackten. 1994 fiel der kanadische Satellit ANIK nach einem Bombardement durch Sonnenteilchen aus, die auch die Genauigkeit des Global Position Systems (GPS) beeinträchtigen.

Mit den gewaltigen Ausbrüchen auf der Sonne, den Coronal Mass Ejections (CMEs), landen jedes Mal Milliarden Tonnen Sonnenmaterial in Form riesiger Gasblasen im All. Einen starken koronaren Ausbruch haben die Forscher auf der Sonnenrückseite gerade erst beobachtet, so Bothmer. Diese Gasblasen rasen mit bis zu 3000 Kilometern pro Sekunde durchs All. Schon kurz nach dem Ausbruch sind sie um ein Vielfaches größer als die Sonne. Lange konnten die Wissenschaftler ihre gigantischen Ausmaße nur ahnen. Im April konnten die Stereo-Forscher erstmals einen CME in voller Größe und Gestalt von der Sonne bis zur Erde mit den Kameras verfolgen. "Das war beeindruckend", so Bothmer, der die Massenausbrüche zu den größten Geheimnissen der Sonne zählt.

Steigt die Aktivität des Sonnenwindes, treten vermehrt Sturmwolken mit geladenen Teilchen auf. Sie fliegen mit 300 bis 3000 Kilometern pro Sekunde durchs All und erreichen die Erde nach zwölf bis 120 Stunden. Das Wechselspiel der Teilchenwolken mit dem Magnetfeld der Erde erzeugt geomagnetische Teilchenstürme. Sie sind die Ursache für "kosmische" Stromausfälle. "Und sie können eine Änderung der Flugrouten erzwingen, Polrouten wären zu unsicher. Auch moderne Computer-Chips und Software leidet", sagt Bothmer, der die Einschläge kosmischer Teilchen in Chips auf Satelliten analysiert hat. Wissenschaftler wie Bothmer wollen einen professionellen Weltraumwetterdienst aufbauen.

Der könnte uns sagen, wann wir eines der beeindruckendsten Naturschauspiele verfolgen können: die spektakulären Polarlichter. Sie entstehen, wenn Teilchenwolken des Sonnenwindes oder der CMEs auf das Magnetfeld der Erde treffen und es zum Kurzschluss kommt. In Deutschland und Südeuropa sind die Lichter nur zu beobachten, wenn Massenauswürfe mit Geschwindigkeiten von mehr als 1000 Kilometern pro Sekunde das Erdmagnetfeld zusammendrücken. Dann leuchten sie auch hier.

Wenn die Sonnenaktivität zunimmt, gibt es intensivere Polarlichter, "aber auch Nebeneffekte, vor denen wir uns besser wappnen sollten", so Bothmer, der das erste EU-Weltraumwetterprojekt "Soteria" mitleitet. Die Stereo-Mission werde dafür Grundlagen liefern. "Sie wird unser Verständnis vom Einfluss unseres Zentralgestirns revolutionieren. Bothmer: "Wir leben im feurigen Atem des ,Sonnen-Drachens'."