Mathematik: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Vom (Un)sinn der Käsebrot-Formel

| Lesedauer: 2 Minuten
Christoph Drösser

"Mathematische Formel für das perfekte Käsebrot gefunden", konnte man im Juni quer durch den deutschen Blätterwald lesen. Mithilfe der Formel, die...

Hamburg. "Mathematische Formel für das perfekte Käsebrot gefunden", konnte man im Juni quer durch den deutschen Blätterwald lesen. Mithilfe der Formel, die zudem von vielen Zeitungen fehlerhaft abgedruckt wurde, konnte man aus der Dicke und Art des Brotes sowie Variablen für Tomatenscheiben, Salat und Gürkchen die richtige Dicke der Cheddar-Käsescheibe ermitteln. "Äußerst komplizierte Messinstrumente" hätten die Forscher benutzt, um diese Formel zu entwickeln. Dahinter steckte - man ahnt es - ein britischer Käsehersteller.

Solche Formeln findet man immer wieder in den Zeitungen. Offenbar sind sie für Redakteure unwiderstehlich, vor allem, wenn sie etwas zu berechnen vorgeben, was man ansonsten eher für eine subjektive Größe hält. Eine Formel - das suggeriert Wissenschaftlichkeit und Exaktheit. Die Welt da draußen ist so schrecklich komplex, aber die Formel (die ich im Einzelnen gar nicht verstehe) sagt mir, dass meine Käsescheibe exakt 3,48 Millimeter dick sein muss. Aber natürlich ist das eine scheinbare Exaktheit.

Das Käsebrot schmeckt wahrscheinlich auch mit einer 3,7 Millimeter dicken Scheibe. Die schwer zu quantifizierenden, subjektiven Anteile verstecken die "Forscher" meist in irgendwelchen Koeffizienten. So hat nach einer vor ein paar Jahren veröffentlichten Formel der ideale Stöckelschuh die Höhe h = Q(12+3s/8). Dabei ist&39;s die Schuhgröße, und hinter Q verbirgt sich ein kombinierter Wert, in den so exakte Werte eingehen wie die "Erfahrung mit Stöckelschuhen" oder die "Attraktivität der Schuhe". Garbage in - garbage out, kurz Giga, ist eine alte Regel von Computerprogrammierern: Gib irgendwelchen Unsinn in eine Rechnung ein, und du wirst Unsinn herausbekommen.

Die Formel für Sex-Appeal, die Formel für den idealen Horrorfilm, gar die Formel für die Wahrscheinlichkeit, dass Gott existiert - all diese Gleichungen, die den Weg in die Medien gefunden haben, gaukeln uns die Berechenbarkeit des prinzipiell Unberechenbaren vor. In manchen Fällen grenzen sie an Wahrsagerei: Ein "deutsch-amerikanisches Wissenschaftler-team" kann jetzt schon den Wahlerfolg der Großen Koalition für 2009 auf Zehntelprozent berechnen - man muss allerdings den "Wählerrückhalt" und die "Kanzlerunterstützung" genau beziffern. Und schließlich noch eine "Korrekturkonstante" addieren.

Die werden die Forscher aber wahrscheinlich erst nach der Wahl festlegen.


Christoph Drösser ist Wissenschaftsjournalist und Autor bei Klett ("Der Mathematik-Verführer"). 2008, im Jahr der Mathematik, druckt das Hamburger Abendblatt einmal im Monat eine Kolumne von ihm ab.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wissen