In diesem Jahr, dem Wissenschaftsjahr der Mathematik, veröffentlicht das Hamburger Abendblatt einmal im Monat eine Kolumne über mathematische Alltagsphänomene.

In diesem Jahr, dem Wissenschaftsjahr der Mathematik, veröffentlicht das Hamburger Abendblatt einmal im Monat eine Kolumne über mathematische Alltagsphänomene. Autor dieser Reihe ist Christoph Drösser, Wissenschaftsjournalist und Buchautor des Klett-Verlags ("Der Mathematik-Verführer"). In dieser fünften Folge geht es um den "Single-Mythos".

Unter der Überschrift "Jeder Zweite allein - Berlin ist Single-Hauptstadt" war Ende 2006 in einer von der Deutschen Presseagentur (dpa) verbreiteten Meldung zu lesen: "Berlin ist die Single-Hauptstadt Deutschlands. Fast jeder Zweite lebt dort allein. Bundesweit machen die Einpersonen-Haushalte einen Anteil von 38 Prozent aus."

Solche Nachrichten werden auch gern von Partnerschaftsagenturen verbreitet. Man stellt sich bildlich vor, wie 50 Prozent der Berliner allein zu Hause sitzen und nur darauf warten, von einem Traumpartner aus ihrer unfreiwilligen Einsamkeit erlöst zu werden.

Aber der letzte Satz der Meldung ließ mich stutzen: Da war plötzlich nicht mehr von Singles die Rede, sondern von "Einpersonenhaushalten". In mir keimte der Verdacht, dass die Sache mit den einsamen Berlinern nicht so ganz stimmen konnte.

Ein Blick in die Statistik bestätigte: Auch die Berliner Zahl bezog sich auf Haushalte, in denen nur eine Person wohnt.

Stellen wir uns ein einigermaßen der Statistik entsprechendes Berliner Mietshaus mit vier Wohnungen vor: eine verwitwete Rentnerin, eine türkische Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern, ein junges Ehepaar sowie ein alleine wohnender Student. Zwei von den vier Wohnungen sind also Einpersonen-Haushalte. Aber in dem Haus leben insgesamt acht Personen, der Anteil der Alleinstehenden beträgt also nur 25 Prozent. Und als echter "Single" würde wohl allenfalls der Student durchgehen - falls er nicht eine feste Freundin hat, über die die Statistik glücklicherweise nichts weiß.

Der Rechenfehler, bei dem Haushalte mit einzelnen Menschen verwechselt werden, passiert jedes Jahr wieder, wenn das Statistische Bundesamt neue Bevölkerungszahlen veröffentlicht. Dabei ist die Gegenrechnung ziemlich einfach: Wenn es in Berlin eine Million Haushalte mit nur einer Person gibt und diese die Hälfte ausmachen, dann müssen in der anderen Million Haushalte jeweils mindestens zwei Personen wohnen, das wären zwei Millionen Menschen. Der Anteil der alleine Lebenden kann also höchstens ein Drittel sein (tatsächlich ist er noch geringer etwa 28 Prozent, weil es ja auch Haushalte mit drei, vier, fünf oder noch mehr Menschen gibt). Und selbst in dieser Zahl sind noch enthalten: Studenten in Wohngemeinschaften, die jeder als einzelner Haushalt zählen. Paare mit Wochenendbeziehungen. Getrennte Paare mit Kind, die sich dessen Erziehung teilen. Das Leben ist in seinen Varianten bunter, als es die Statistik wiedergeben kann. Wenn man alle diese Faktoren einbezieht, bleiben unter dem Strich etwa 15 Prozent der deutschen Bevölkerung, die tatsächlich alleine leben. Und wie viele davon wirklich einsam sind - das ist eine ganz andere Frage.