Marzipan gehört zur Weihnachtszeit wie der Christbaum zum Fest. Bereits seit dem 13., 14. Jahrhundert lassen sich Menschen in hiesigen Breiten die süße Mandelmasse genüßlich auf den Zungen zergehen, zunächst als nahezu unerschwinglicher Luxus aus der Apotheke. Schon einige Jahrhunderte früher versüßte in den arabischen Ländern das "Haremskonfekt" den Kalifen und Haremsdamen das Leben. Hier liegt der Ursprung des Marzipans, das über Venedig Europa erreichte.

Das Lübecker Marzipan hat eine ganz eigene Geschichte: 1407, so heißt es, herrschte in der Stadt eine Hungersnot. Die Bäcker hatten kein Mehl, um Brot zu backen, aber die Lager waren mit Zucker und Mandeln gefüllt. So wies der Senat der Stadt die Bäcker an, aus den Rohstoffen nahrhafte "Brote" herzustellen, um die Landsleute vor dem Hungertod zu retten. Die Bäcker fügten etwas Rosenwasser hinzu - das "Markusbrot" (lateinisch "Marci panis") war erfunden.

Um 1800 begann der Aufstieg der süßen Versuchung zum Lübecker Wahrzeichen. Mecklenburgische Zuckerrüben ersetzten den teuren Rohrzucker aus Übersee und machten das Naschwerk allgemein salonfähig. Zur selben Zeit kam der Ulmer Konditorgeselle Johann Georg Niederegger in die Hansestadt und erhielt 1806 einen Job in der Konditorei Maret. Er steht für den Marzipanboom in Lübeck - um 1900 produzierten etwa 30 "Macipan-Fabrikanten" zentnerweise die beliebte Süßigkeit.

Heute ist Lübecker Marzipan wie Nürnberger Lebkuchen oder Aachener Printen eine gesetzlich geschützte Herkunftsbezeichnung. Es muß in der Stadt produziert worden sein und mindestens zu 70 Prozent aus Marzipan-Rohmasse bestehen. Die restlichen 30 Prozent sind Zucker. Da bereits die Rohmasse generell etwa 35 Prozent Zucker enthält, besteht das Endprodukt also zu knapp 55 Prozent aus Zucker. Beim Standard-Marzipan ist der Anteil von Rohmasse und Zucker 50:50. Dagegen muß Lübecker Edelmarzipan 90 Prozent Rohmasse enthalten.

Wichtigster Ausgangsstoff der Rohmasse sind die Mandeln. Sie stammen oft aus der Mittelmeerregion und werden zunächst gereinigt, geschält und verlesen. Anschließend geht es ans Mahlen, hier werden die Mandeln zerkleinert und mit Zucker vermischt. Was nun kommt, ist weitgehend geheim: Der Marzipanmacher verfeinert seine Köstlichkeit mit Rosenwasser und oft auch einem kleinen Anteil Bittermandeln - die genauen Rezepte werden natürlich nicht verraten. Walzwerke machen aus dem Gemisch einen zähen Brei, der traditionell in Kupferkesseln über offener Flamme geröstet wird. Nach einer Ruhezeit kommt das Marzipan in Formen, wird mit Lebensmittelfarben dekoriert oder erhält einen Schokoladenüberzug.

In sehr ähnlichen Verfahren werden Persipan und Nougat hergestellt. Beim Persipan nimmt man statt Mandeln Aprikosen- oder Pfirsichkerne, deren Bitterstoffe jedoch vor der Verarbeitung entfernt werden müssen. Nougat wird hauptsächlich aus Haselnüssen gemacht und enthält zusätzlich Kakao.

Alle Naschvarianten haben eines gemeinsam: Sie sind sehr nahrhaft. Schon der persische Arzt Rhazes (850-923) schrieb über Mandeln: "So man sie aber geschält mit weißem Zucker genießt, vermehren sie das Rückenmark und das Gehirn und machen den Körper fett." Die spezifische Wirkung auf Hirn und Rückenmark bleibt oft verborgen, die Wirkung auf Bauch und Taille ist dagegen vielfach bezeugt.

Doch die Weihnachtszeit ist ohnehin kalorienreich. Und so bleibt die Nascherei aus dem (islamischen) Orient eine willkommene Bereicherung des (christlichen) Festes.