Sehen, Hören, Riechen, Fühlen - um den Umsatz in den Läden zu steigern, werden im Supermarkt alle Sinne der Kunden angesprochen.

Oestrich-Winkel. Mal ehrlich: Niemand, der in den Supermarkt geht und nur Milch und Brot kaufen will, braucht wirklich nur Milch und Brot, auch wenn das gern behauptet wird. Dafür müsste man seinen gesamten Haushaltsbestand aller Produkte des täglichen Bedarfs im Kopf haben: von Nahrungsmitteln und Tierfutter über körpernahes Non-Food, wie es im Handel heißt, also Duschbad und Zahnbürste, bis zu körperfernem Non-Food wie Papierwaren oder Reinigungsmittel.

70 Prozent der Kaufentscheidungen fallen bekanntermaßen nicht beim Schreiben des Einkaufszettels, sondern erst spontan vor dem Regal. Der mangelnde Überblick ist ein Grund dafür, warum man optimistisch ohne Korb in den Supermarkt geht und überladen wieder herauskommt. "Selbst wenn man mit einem Einkaufszettel losgeht, steht da nie alles drauf - irgendetwas hat man immer vergessen oder ist sich unsicher, ob man es nicht womöglich doch braucht", sagt Franz-Rudolf Esch, Professor für Markenmanagement an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel. "Und sicherheitshalber kauft man dann Toilettenpapier und stellt zu Hause fest, dass man noch zehn Rollen hatte."

Der Experte für Konsumentenforschung unterteilt die Spontankäufe in drei Kategorien: Das Toilettenpapier zählt zum Kaufen für die Vorratskammer, ebenso die Kaffeefilter, von denen man eigentlich auch nie genug haben kann. Reine Impulskäufe gibt es natürlich auch, als Ausbrechen aus dem normalen Kaufmuster. Und es gibt die suggerierten Impulskäufe: Der Schlankheitsdrink passend zum Sommerbeginn ist ein klassisches Beispiel.

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Jeder Supermarkt macht sich Gedanken darüber, wie man dieses manchmal vernünftige, manchmal irrationale Kaufverhalten der Besucher bestmöglich unterstützen kann. Los geht es mit einem großen Einkaufwagen, der wenig Inhalt nicht verträgt, sowie einer vorgezeichneten optimalen Einkaufsstrecke, die den Kunden in bestmöglicher Atmosphäre, mit sanfter Musik und optimalen 20 Grad Temperatur, dazu verleitet, den längsten Weg durch den Supermarkt zu nehmen. Denn das bedeutet eine längere Aufenthaltsdauer. Und die wiederum ist entscheidend dafür, wie viel gekauft und ausgegeben wird.

Der Einkaufsparcours startet am Eingang mit einem Bäcker plus Sitzecke. Dort duftet es lecker nach frischen Brötchen, was, sagt Franz-Rudolf Esch, den Umsatz deutlich steigen lässt. Dabei ist es egal, ob der Duft von den Brötchen oder aus der Dose kommt - beides wirkt und wird auch eingesetzt. Drinnen angekommen, geht es immer an den Außenwänden, der sogenannten Rennstrecke, entlang. Als Rechtshänder laufen die meisten gern links herum, weil sie so schnell zugreifen können. Gelegentliche Abstecher in die Marktmitte werden deshalb provoziert, indem dort günstigere Waren des täglichen Bedarfs gelagert werden.

Gern werden auch Aufsteller mit großen Werbegesichtern benutzt. Produkte mit Gesichtern werden häufiger angesehen, positiver eingeschätzt und besser erinnert. Und auch die Regale selbst sind bestens durchdacht: Weil Kunden sie wie ein Buch von links nach rechts scannen, stehen die teureren Produkte eher dort, wo der Blick ganz zuletzt hinfällt. Und Waren in Blick- und Greifhöhe sind oft kostspieliger als jene, die mehr Körpereinsatz fordern. Gern wird auch neben ein billiges und ein teures Produkt ein sehr teures platziert. Weil die wenigsten Standardpreise für alles im Kopf haben, vergleichen sie - und halten das teure für ein recht kostengünstiges.

Ein leicht unebener Fußbodenbelag bremst den Einkaufswagen in der Obst- und Gemüseabteilung und vermittelt, ohne dass es bewusst wird, die Gemütlichkeit und Natürlichkeit eines Dorfmarkts. Das funktioniert tatsächlich, sagt Olaf Hartmann. Er ist Berater für Multisensorik-Marketing und Experte dafür, wie man verschiedene Sinneseindrücke so zusammenwirken lässt, dass sie konsistent immer das gleiche Bild vermitteln. "Es gibt keine Qualität per se, es gibt nur wahrgenommene Qualität", sagt er. "Und die entsteht unbewusst - aus allen Reizen, die auf uns einströmen." Wenn zum unebenen Boden Körbe statt Kisten, passende Farben mit Lichtakzenten, Fotos und Spiegel dazukommen, die allesamt Frische und Natürlichkeit vermitteln, wird schnell ein altes Konzept in uns aktiv, das Vertrauen und Qualität signalisiert, sagt er. In den letzten Jahren wird dafür verstärkt Berührung, also Haptik, eingesetzt, denn bei ihr rechnen Menschen nicht mit einer Täuschung. "Anfassen und Berührung ist direkt mit dem Emotionssystem verbunden und wirkt deshalb ganz unmittelbar, so wie es auch bei Gerüchen der Fall ist", sagt Hartmann.

Auch Franz-Rudolf Esch bestätigt, dass nonverbale Eindrücke oft stärker wirken als verbale. Sind sie konsistent und aufeinander abgestimmt, entwickele sich eine Art "emotionaler Stempel", der die Aktivität in unserem Gehirn um das Zehnfache erhöhen kann. Die Eindrücke werden schneller verarbeitet, als glaubwürdiger eingestuft und länger und besser erinnert.

Erinnerung ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Supermarktpsychologie. Denn das Gehirn liebt Vertrautes und belohnt deshalb gern Entscheidungen, die bereits einmal zum Ziel geführt haben. Schon nach zwei bis drei Wiederholungen einer Handlung erwarte das Gehirn, dass genau das Gleiche wieder passiert, erklärt Olaf Hartmann. Macht man sich also nach der Dorfmarktsektion auf, um wie immer die Milch zu holen, dann dauert es weniger als vier Sekunden, aus 16 Produkten eines auszuwählen.

"Menschen suchen ständig nach bestimmten Mustern, um die Komplexität der Welt zu reduzieren", sagt Hartmann. "Wir lernen Muster, die uns das garantieren, was wir wollen, und wenn das ein paarmal funktioniert, hinterfragen wir es nicht mehr." Eines der Prinzipien, die unser Gehirn durch Erfahrung nicht mehr hinterfragt, sind Rabatte. Das Gehirn liebt Preisnachlässe und Gratiszugaben, wie Studien zeigen. Vermutlich, sagt Esch, hänge das noch mit dem Jagdtrieb zusammen.

Ähnlich erfreulich sind Kombistände oder "zwei für drei" Angebote, die wie Rabattständer gern mittig zwischen Regalen platziert werden, denn so kann man keine Preise vergleichen. Kombistände bieten zu Nudeln die passende Sauce, den perfekten Wein und Käse gleich dazu - auch das entlastet das Gehirn. Die beschränkte Kapazität der grauen Zellen macht sich auch die Quengelzone vor den Kassen zunutze, die fünf Prozent des gesamten Umsatzes erwirtschaftet. Wer glaubt, dass hier nur Kinder schwach werden, hat zu viel Vertrauen in die menschliche Willenskraft. Fakt ist: Nach der langen Runde durch die Gänge und die vielen Entscheidungen gegen Produkte, die nicht wirklich gebraucht werden, ermüdet die Vernunft. Der Widerstand, seine Impulse zu kontrollieren, lässt nach einigen solcher Entscheidungen deutlich nach. Aber schließlich kann man Batterien, Feuerzeuge oder Kaugummis immer gebrauchen, oder?