Forscher des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven: Zweitgrößtes Schelfeis der Antarktis durch warme Meeresströmung bedroht.

Bremerhaven. Noch in diesem Jahrhundert droht ein gewaltiger Eisrutsch in einer Region der Antarktis, die bislang als kaum beeinflusst vom Klimawandel galt. Zu diesem Schluss kommen Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI ) mit zwei Modellsimulationen. Anders als angenommen wirke sich der Klimawandel auch auf das Weddellmeer aus, das größte Randmeer des Südlichen Ozeans am antarktischen Kontinent. Dort setzten warme Wassermassen dem Filchner-Ronne-Schelfeis heftig zu, schreiben die Forscher im Journal "Nature".

Als Schelfeise werden große, auf dem Meer schwimmende Eisplatten bezeichnet, die mit einem Gletscher an Land verbunden sind und von deren Spitze immer wieder Eisberge abbrechen. Das Filchner-Ronne-Schelfeis ist mit 470 000 Quadratkilometern das zweitgrößte Schelfeis der Antarktis. Diese gewaltige Eisplatte werde wohl rapide schmelzen und sich bis zum Ende des Jahrhunderts auflösen, schreiben die Forscher. In der Folge könnten große Mengen von Inlandeis in den Ozean rutschen, da das Schelfeis als Barriere wegfalle. Dies würde zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen. "Schelfeise sind für das nachgelagerte Inlandeis wie ein Korken in der Flasche", erläutert AWI-Forscher Hartmut Hellmer. "Sie bremsen die Eisströme, weil sie in den Buchten überall anecken und zum Beispiel auf Inseln aufliegen."

+++ Antarktis-Eis schmilzt auch durch veränderte Winde +++

Auch eine zweite, im Journal "Nature Geoscience" veröffentlichte Studie weist auf eine solche Entwicklung hin. Die Forscher um Martin Siegert von der Universität Edinburgh hatten per Georadar die Dicke zweier Eisströme analysiert, die das Filchner-Ronne-Schelfeis speisen, und daraus auf die Bodenbeschaffenheit darunter geschlossen. Demnach existiert in der Region ein großes, steil abfallendes Becken mit glattem Grund, das einem Eisrutsch wenig entgegensetzen würde.

Bisher seien die Wassermassen des Weddellmeeres kalt genug gewesen, um das Schelfeis nicht schmelzen zu lassen, schreiben die AWI-Forscher in "Nature". Doch in den nächsten 60 Jahren könnten steigende Lufttemperaturen eine Wärmebrücke in die Kältezone schlagen. Dadurch werde eine Grenze von Wassermassen aufbrechen, die bislang den Zustrom von warmem Wasser unter das Schelfeis verhindert. "Wenn sich diese schützende Barriere auflöst, schmilzt das Filchner-Ronne-Schelfeis von unten", sagt Hartmut Hellmer. Falls das schmelzende Eis komplett von nachfließendem Inlandeis ausgeglichen werde, entspreche dies einem zusätzlichen Meeresspiegel-Anstieg von 4,4 Millimetern pro Jahr. (dpa)