Deutsche Forscher wollen Kohlendioxid aus Kraftwerksabgasen für die chemische Industrie nutzbar machen

Hamburg. Kohlendioxid aus Kraftwerksabgasen abzutrennen und unterirdisch einzulagern - dieses Klimaschutzkonzept sorgt seit Monaten für Diskussionen, vor allem dort, wo potenzielle Endlager benannt wurden. Mehrere deutsche Forschungsinitiativen gehen einen Schritt weiter: Sie wollen das konzentrierte CO 2 als Rohstoff der Chemieindustrie nutzbar machen.

"Es ist eine faszinierende Idee, den Kohlenstoff im Kreislauf zu führen, anstatt ihn zu deponieren", sagte Prof. Klaus Töpfer, der ehemalige Bundesumweltminister, kürzlich bei einem Besuch an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. "Wir brauchen mehr Forschung im Bereich CCU statt CCS." CCS steht für Carbon Capture and Storage (Kohlenstoff-Abtrennung und Einlagerung). Bei CCU folgt nach der Abtrennung des CO 2 aus den Abgasen ein U für Usage (Verwendung).

Weil das CO 2 -Molekül sehr stabil ist, brauchen technische Verfahren viel Energie, um die chemische Verbindung zu knacken. Deshalb wird abgetrenntes CO 2 bislang nur in nennenswertem Maßstab verwertet, um die Ausbeute bei der Erdöl- und Erdgasförderung zu erhöhen. Zudem arbeiten einige Algenreaktoren, die CO 2 als Futtermittel nutzen. Das Plankton kann später als Rohstoff oder zur Erzeugung von Biogas dienen. Dies plant auch der Energieversorger E.on Hanse in seinem Mikroalgenprojekt in Hamburg-Reitbrook.

Darüber hinaus gebe es drei Ansätze, das CO 2 als Rohstoff der Chemieindustrie zu verwenden, sagt Prof. Matthias Beller, geschäftsführender Direktor am Leibniz-Institut für Katalyse an der Universität Rostock. Dort erforschen mehrere Arbeitsgruppen, wie man Kohlendioxid aus Abgasen nutzen könnte. Der erste Ansatz beschäftigt sich mit Verfahren, die dem Kohlenstoff (chemische Formel C) seine zwei Sauerstoffatome (O) lassen und nur wenig Energie benötigen. Beller nennt eine Pilotanlage der Firma Bayer, in der CO 2 mit Epoxiden (sehr reaktive kohlenstoffhaltige Verbindungen) zu Polycarbonaten umgesetzt werden. Letztere sind Hochleistungskunststoffe, aus denen etwa DVDs hergestellt werden. Beller rechnet damit, dass in drei bis fünf Jahren in diesem Bereich erste kommerzielle Anlagen entstehen könnten.

Der zweite technische Ansatz zielt darauf ab, Sauerstoffatome im CO 2 durch Kohlenstoffatome zu ersetzen. Das Ziel sind Substanzen, die Basis für viele Rohstoffe sein könnten. Beller: "Bringt man CO 2 mit Olefinen, petrochemischen Grundstoffen, zusammen, lassen sich daraus etwa Acrylsäure oder Methacrylsäure herstellen. Acrylsäure kennt man als Superabsorber in Babywindeln, Methacrylsäure ist der Grundstoff für Plexiglas." Dieser Verwertungsweg sei jedoch sehr energieaufwendig, so Beller. Es werde daran geforscht, Katalysatoren zu entwickeln, um die chemische Reaktion mit weniger Energie in Gang zu bringen. Dabei kämen vor allem metallorganische Verbindungen infrage, vergleichbar mit Platin in Autokatalysatoren, das dort jedoch kein CO 2 , sondern Stickoxide, Kohlenmonoxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe zerlegen hilft.

Ansätze der dritten Kategorie verwenden Wasserstoff, um das CO 2 etwa zu Alkohol (Methanol, Ethanol) umzuwandeln. Dies ist ebenfalls energieintensiv und macht ökologisch nur Sinn, wenn der Wasserstoff regenerativ, etwa aus überschüssigem Windstrom, erzeugt wird. Bislang wird der Energieträger aber zum Großteil aus Erdgas gewonnen. Die Alkohole könnten als chemische Rohstoffe eingesetzt werden, vielleicht auch als Kraftstoff.

"Der Einsatz als Energieträger ist nicht sinnvoll, weil dann bei der Verbrennung wieder CO 2 entsteht und frei wird", gibt Prof. Alfons Kather, Experte für Kraftwerkstechnik an der TU Hamburg-Harburg, zu bedenken. Er hält das Potenzial, aus CO 2 chemische Rohstoffe zu gewinnen, für relativ gering. "Nach einer Untersuchung lassen sich höchstens drei bis fünf Prozent des von Kraftwerken erzeugten CO 2 künftig auf diese Weise nutzen." Angesichts des jährlichen CO 2 -Ausstoßes von gut 300 Millionen Tonnen durch deutsche Kraftwerke wären dies aber immerhin neun bis 15 Millionen Tonnen. Prof. Rudolf Eggers, Verfahrenstechniker an der TU, sieht vor allem den hohen Energiebedarf als Hürde für die Umwandlung von CO 2 in chemische Rohstoffe. "Wir haben an der TU kein Projekt in diesem Bereich, denken aber darüber nach."

Das Bundesforschungsministerium hat mit 35 Millionen Euro das Programm "Chemische Prozesse und stoffliche Nutzung von Kohlendioxid" aufgelegt. Umwelt-Vordenker Klaus Töpfer wünscht sich noch mehr Engagement von forschungsstarken Nationen wie Deutschland: "Jedes Mal wenn ich in China bin, fragt mich der Forschungsminister, wie weit wir seien - und: ,Wann können wir CO 2 nutzen?'"

Einen eleganten Weg macht die Natur uns vor: Pflanzen stellen mittels Sonnenlicht aus CO 2 und Wasser direkt energiereiche Stoffe (Traubenzucker) her. Aber so weit ist die Menschheit technisch noch nicht.

Video: CO2 als Rohstoff nutzen

Quelle: www.chemieundco2.de