Am kommenden Sonntag werden Niedersachsens Naturwälder erstmals zur Besichtigung geöffnet

Braunschweig. Umgestürzte Baumstämme voller Moos und Flechten, verwitterte Felsen, meterhohes Farnkraut und dazwischen vielleicht ein scheu blinzelnder Luchs, Wolf oder Bär. Vorstellungen wie diese sind es, die einem in den Sinn kommen, sobald die Rede vom Urwald ist. Doch es muss dieser Tage nicht nur bei der Vorstellung bleiben. Denn: In Niedersachsen werden 20 der dortigen 102 Urwälder nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Anlass ist die Aktion "Urwald-Zeit" am kommenden Sonntag, dem 15. Mai. Sie findet im Rahmen des Internationalen Jahres der Wälder statt. "Bei der Urwald-Zeit", sagt Stefan Fenner, Sprecher der Niedersächsischen Landesforsten, "zeigen wir den Besuchern, was sich im Wald tut, wenn wir nichts tun."

102 niedersächsische Wälder überlassen die Landesforsten seit 1972 sich selbst

Beispiele für solche Plätze von Ursprung und Wildheit gibt es im zweitgrößten Bundesland nämlich einige: Seit 1972 überlassen die Landesforsten - das öffentlich-rechtliche Unternehmen mit Sitz in Braunschweig ist Niedersachsens größter Waldeigentümer - 102 Waldgebiete sich selbst. Dabei reicht die Bandbreite von den nur zwei Hektar großen "Göhrder Eichen" in der Ostheide bis hin zum Mühlenberg im Harz mit rund 230 Hektar. Zusammen nehmen die Naturwälder in Niedersachsen eine Fläche von 4469 Hektar ein - hinzu kommt der zirka 16 000 Hektar große Nationalpark Harz. "In den Naturwäldern fällen und pflanzen wir nichts", erklärt Stefan Fenner. Forstliche Eingriffe verböten sich hier fast völlig - abgesehen von Wegesicherungs- und Waldbrandabwehrmaßnahmen. Denn die Naturwälder dienten als "Urwälder von morgen" dem Naturschutz und der Waldforschung. Für sie gelte ein Betretungsverbot.

"Diese besonderen Schutzzonen sind durch Hinweisschilder als solche ausgewiesen", sagt Stefan Fenner. Darüber hinausgehende Abschirmvorkehrungen gebe es aber nicht: "Natürlich stehen vor diesen Wäldern nicht etwa bewaffnete Sicherheitsleute." Noch nicht einmal Zäune gebe es um diese oft im Herzen "normaler" Wälder gedeihenden Gebiete. "Schließlich", sagt Fenner, "soll zwischen den Urwäldern und der Umgebung ein Austausch stattfinden, damit sich das dortige Geschehen natürlich und nicht wie unter einer Käseglocke vollzieht - das wäre ansonsten ja auch ein menschlicher Eingriff."

Der seit nunmehr fast 40 Jahren laufende Urwald-Feldversuch in Niedersachsen hat nach Ansicht von Stefan Fenner bereits interessante Ergebnisse geliefert: beispielsweise, dass der typische Baum Norddeutschlands die Buche sei. In den niedersächsischen Urwäldern breite sie sich dominant aus. "Ohne den Menschen wüchsen zwischen Hamburg und Hannover großflächig keine der vermeintlich so deutschen Eichen mehr", resümiert Fenner. Daraus folgert er: "Wenn der Mensch sich im Wald nicht mehr rührt, heißt das nicht, dass automatisch alles besser wird - jedenfalls nicht im klassisch-klischeehaften Sinne von mehr Artenvielfalt und Lebendigkeit."

Luchse, Wölfe, Bären pirschen demnach auch weiterhin nur durch die Sinne statt zwischen Aller und Elbe? "Jein", antwortet Stefan Fenner. "Unsere Naturwälder sind viel zu klein und liegen viel zu weit auseinander, als dass sie allein die Ansiedelung und Ausbreitung solcher Großwildtiere bedingen könnten." Gleichwohl kämen Luchs und Wolf mittlerweile wieder in Niedersachsen vor - eben durchaus auch in den ja so naturnah wie möglich gepflegten Wirtschaftswäldern. "Bären", fügt Fenner hinzu, "gibt's in Niedersachsen allerdings nur im Zoo."

Am 15. Mai präsentieren die Niedersächsischen Landesforsten eine Auswahl ihrer Urwälder, jedoch ist der Zutritt beschränkt: Es gibt lediglich zweimal 500 Karten für dieses Ereignis. Sie werden bei einem Internetquiz verlost: www.landesforsten.de