Internationales Projekt mit deutscher Beteiligung soll das Erbmaterial von bedrohten Tieren für die weitere Zukunft sichern.

Für den Beutelwolf ist es zu spät, auch für den neuseeländischen Riesenvogel Moa. Die einzigartigen genetischen Informationen, die diese ausgerotteten Arten im Laufe ihrer Evolution entwickelt hatten, sind verloren. Zwar gibt es von vielen ausgestorbenen Tieren noch ein paar ausgebleichte Knochen oder ausgestopfte Museumsexemplare. Doch ist ihr Erbmaterial DNA (Deoxyribonucleic acid) oft so schlecht erhalten, dass Molekularbiologen kaum noch darin lesen können.

Von noch lebenden Arten wollen Wissenschaftler aussagekräftigere Andenken bewahren: Unter Federführung der University of Nottingham in Großbritannien sind 14 Forschungsinstitute, Universitäten, Zoos und Museen aus aller Welt dabei, eine Art Back-up der biologischen Vielfalt aufzubauen. Im Rahmen des Projekts "Frozen Ark" ("Gefrorene Arche") lagern sie dazu DNA, Zellen und Gewebe ein.

Eines Tages soll die Kollektion Proben von sämtlichen gut 16 000 bedrohten Tierarten enthalten, die auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN stehen. Bis zum Jahr 2015 wollen die Forscher schon einmal Material von mindestens 10 000 dieser Spezies beisammen haben. "Das wird uns allerdings noch viel Arbeit kosten", sagt Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Er und seine Kollegen sind die bisher einzigen deutschen Wissenschaftler an Bord der "gefrorenen Arche". Seit Jahren beschäftigen sie sich mit der Frage, wie man die Ei- und Samenzellen von Säugetieren in befruchtungsfähigem Zustand aufbewahren kann. Dabei hatten sie reichlich Gelegenheit, die Tücken dieses Unterfangens kennenzulernen.

Die Berliner Sammlung umfasst 280 Säugetierarten

Wer es zum Beispiel auf das Sperma eines Nashorns abgesehen hat, lebt gefährlich. Ohne Betäubung ist da nichts zu machen. Per Druckluftpistole gilt es, eine bestimmte Stelle hinter dem Ohr des zwei Tonnen schweren Bullen zu treffen. Denn nur dort ist die Haut dünn genug für die Injektion des Narkosemittels Etorphin, das 1500-mal so stark ist wie Morphium. Liegt das Tier dann bewusstlos am Boden, wird ihm durch den After ein elektrisches Spezialgerät eingeführt. Das stimuliert bestimmte Nervenzellen in der Nähe der Prostata, die für den Ausstoß der Samenflüssigkeit zuständig sind. Wenn man dann noch den Penis des Tieres massiert, kann man zwischen fünf und 40 Milliliter Samenflüssigkeit auffangen.

Zum Glück machen nicht alle Kandidaten den Berliner Forschern das Leben so schwer. Insgesamt lagern in der großen Sammlung des IZW derzeit Körpergewebe, Spermien und Eizellen von rund 280 Säugetierarten. Viele stammen von toten Zootieren oder wurden bei routinemäßigen Gesundheitskontrollen gewonnen. Doch angesichts der mehr als 1100 bedrohten Säugetiere auf der Roten Liste bleibt Heribert Hofer und seinen Kollegen trotzdem noch reichlich zu tun.

Bei Insekten und anderen Wirbellosen klaffen in den Sammlungen von Frozen Ark noch größere Lücken. Und auch die Meeresfauna ist bisher nur sehr unvollständig vertreten. Um dem abzuhelfen, fahren David Rawson von der University of Bedfordshire und seine Kollegen regelmäßig auf Fischereischiffen mit. In jedem Netz bleiben schließlich neben den eigentlich anvisierten Arten auch jede Menge anderer Meeresbewohner hängen. Dieser sogenannte Beifang ist für die britischen Forscher eine wahre Fundgrube. Fischflossen, Muskelstücke, aus den Zellen isolierte DNA, das alles wandert noch an Bord in Spezialgefäße mit flüssigem Stickstoff. Darin herrschen minus 196 Grad Celsius - nach gängiger Biologenmeinung die derzeit beste Versicherung gegen Gammelprozesse.

Spermien vertragen keinen Kälteschock

Doch nicht jede Zelle verträgt den Kälteschock. "Säugetierzellen können durch die dann entstehenden Eiskristalle zerstört werden", sagt Heribert Hofer. Eingefrorene Spermien zum Beispiel lassen sich dann nie wieder aus ihrem Kälteschlaf aufwecken. Genau das aber ist das Ziel. Das konservierte Material soll schließlich nicht nur ein potenzielles Andenken an vom Aussterben bedrohte Arten sein, sondern wenn möglich etwas zu deren Schutz beitragen.

Zum Beispiel durch künstliche Befruchtungen. "Wenn es von einer Art nur noch wenige Exemplare gibt, kann es leicht zu genetischen Problemen kommen", so Hofer. Erbkrankheiten und Fortpflanzungsstörungen können die Folge der genetischen Armut sein. Das eingefrorene Sperma, selbst von längst verstorbenen Tieren, kann in solchen Fällen helfen, mehr Abwechslung ins Erbgut des Bestandes zu bringen. Deshalb entwickeln die IZW-Forscher Thomas Hildebrandt und Robert Hermes besonders schonende Gefriermethoden, die das Sperma nicht schlagartig, sondern stufenweise abkühlen, um die Verletzungsgefahr der empfindlichen Zellen zu verringern.

Selbst perfekt konservierte Samenzellen sind allerdings noch keine Garantie für späteren Nachwuchs. Gerade Nashörner und Elefanten haben sich jahrelang allen Versuchen der künstlichen Besamung widersetzt. "Das liegt daran, dass diese Tiere einen besonders kompliziert gebauten Geschlechtstrakt haben", erläutert Heribert Hofer. Bei Elefantenweibchen zum Beispiel öffnet sich die Vagina nicht nach außen, sondern mündet innerhalb des Körpers in einen rund einen Meter langen Schlauch.

Die anatomische Spezialität der weiblichen Nashörner dagegen ist ihr anderthalb Meter langer Gebärmutterhals, der auch noch wie ein Korkenzieher gewunden ist. In beiden Fällen können Tierärzte mit den in der Nutztierzucht üblichen Besamungsbestecken nichts ausrichten.

Deshalb haben Thomas Hildebrandt und Robert Hermes Spezialgeräte entwickelt, die genau auf den Körperbau der jeweiligen Art abgestimmt sind. Damit bringen sie sein Sperma an die richtige Stelle. Alle Tricks der künstlichen Befruchtung nützen allerdings nur dann etwas, wenn es noch zu der Art passende Weibchen gibt, die den Nachwuchs austragen können. Bei im Reagenzglas gezeugten Embryonen kommen notfalls auch Leihmütter einer eng verwandten Spezies infrage. Wenn auch diese Möglichkeit ausfällt, wird es allerdings schwierig.

Hoch entwickelte Tiere bestehen nicht nur aus genetischen Programmen

Ob es jemals gelingen wird, aus eingelagerten Erbgutproben eine ausgestorbene Art wieder auferstehen zu lassen, steht derzeit in den Sternen. Hofer bezweifelt, ob dies überhaupt sinnvoll wäre. Schließlich bestehen gerade hoch entwickelte Tiere nicht nur aus genetischen Programmen. Sie müssen viel lernen und entwickeln ihr arttypisches Verhalten vor allem durch den Kontakt mit ihren Artgenossen. "Das Wissen, das die Matriarchin einer Elefantenherde hat, kann keine Gen- oder Samenbank ersetzen", betont der Berliner Forscher.

Genau aus diesem Grund sehen die Mitglieder von Frozen Ark ihre Bemühungen auch nicht als Alternative, sondern vielmehr als Ergänzung zum klassischen Naturschutz. Vorrang hat in ihren Augen die Erhaltung von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum. "Von einer verschwundenen Art noch ein paar genetische Andenken zu habenrt Hofer. Erträglich macht es diese Niederlage der Natur in seinen Augen aber nicht.