Neues Internet-Gesetz soll es der Regierung ermöglichen, Inhalte zu blockieren. Die Enzyklopädie wurde für 24 Stunden vom Netz genommen.

Moskau. Wikipedia hat am Dienstag aus Protest gegen ein geplantes Internet-Gesetz seine russischsprachigen Seiten für 24 Stunden aus dem Netz genommen. Abgeordnete erklärten, die Gesetzesvorlage, über die am Dienstag im Parlament debattiert werden sollte, solle das Kindswohl schützen. Das Gesetz soll es der Regierung ermöglichen, kinderpornografische Inhalte, Anleitungen für Selbsttötungen oder Informationen über Drogen zu blockieren.

Internet-Nutzer und Menschenrechtsaktivisten haben gegen das Vorhaben protestiert. Der Rat für Menschenrechte erklärte, das Gesetz sei zu weit gefasst, sodass die Regierung subjektiv Seiten sperren könne. Im Januar hatte Wikipedia seine englischsprachige Seite vorübergehend abgeschaltet, um gegen ein Gesetz gegen Online-Piraterie in den USA zu protestieren.

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Der Kreml äußerte sich nicht öffentlich zu dem Gesetzesvorhaben. Allerdings waren Abgeordnete der Putin-treuen Partei Einiges Russland an der Abfassung des Gesetzes beteiligt und seine Verabschiedung gilt als sicher. Das Gesetz entspricht anderen kürzlich erlassenen Verordnungen, die auf Putin-Kritiker abzielen: Eine drastische Verschärfung der Strafen für illegale Demonstrationen wurde im Juni durchs Parlament gepeitscht, ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen, die aus dem Ausland Geld erhalten, als „ausländische Agenten“ abstempelt, wurde in der vergangenen Woche verabschiedet.

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Das russische Internet war bislang relativ frei von Eingriffen der Regierung. Während regierungskritische Aktivisten oder Medien in zahlreichen Fällen Opfer von Hackerangriffen wurden, regulierte die Regierung das Internet nur wenig, wodurch es eine Plattform für politischen Diskurs wurde. Dementsprechend provozierte der Gesetzentwurf eine Protestwelle im Internet. Viele Nutzer äußerten Unterstützung für die Aktion von Wikipedia.

Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalni schrieb in seinem Weblog, das Gesetz unterstreiche, wie verzweifelt der Kreml versuche, über die internetaffine Öffentlichkeit zu siegen. Das Gesetz sei ein weiterer Versuch der Regierung, den „ideologischen Kampf im Internet“ zu gewinnen.

Anton Nossik, Mediendirektor der Internetfirma SUP, die unter anderem den größten Blogger-Dienst in Russland betreibt, glaubt daran, dass das jetzige Gesetz eher ein Testballon ist. Es werde keine unmittelbaren Folgen haben, schrieb er. Aber, „die Wahrheit ist, dass sie testen, um herauszufinden, wie solche Maßnahmen in der Zukunft umgesetzt werden können. In den vergangenen zwölf Jahren war ich sicher, dass die russische Regierung klug genug war, das Internet nicht zu zensieren. Nun zerstreuen sie jeden Zweifel, dass Russland auf dem Weg zu einer Regulierung durch die Regierung ist, die sinnlos und skrupellos ist.“ (dapd)