Rund 4000 Besucher diskutieren auf der Konferenz. Stimmung schwankt zwischen Technik-Optimismus und düsteren Visionen.

Berlin. Es ist das Klassentreffen der Netzszene in Deutschland: „ACT!ON“ lautet das Motto der re:publica – in Großbuchstaben und mit einem Ausrufezeichen mitten im Wort. Die Macher der Internet-Konferenz wollen die Besucher zum Mitmachen und Einmischen bewegen. In den vollen Sälen mit klugen Fragen, aber auch darüber hinaus. Verbindende Klammer der rund 200 Stunden Programm zwischen Arabischem Frühling, Anonymous und ACTA: Wie Technologie die Welt besser macht oder machen könnte. Und welche Gefahren dem offenen Internet drohen.

Die re:publica versteht sich als „Spiegel der digitalen Gesellschaft genauso wie als Plattform der aktiven Netzgemeinde“. Mittlerweile hat das Treffen weit über die Blogosphäre hinaus an Bedeutung gewonnen. Zu den Referenten gehören neben vielen Szene-Größen auch EU-Kommissarin Neelie Kroes, der Internet-Unternehmer Lars Hinrich, Chaos-Computer-Club-Sprecherin Constanze Kurz, Piraten-Politikerin Marina Weisband und der twitternde Regierungssprecher Steffen Seibert. Rund 4000 Besucher kommen zur sechsten Ausgabe der Konferenz, die von der Agentur Agentur newthinking communications und dem Spreeblick-Verlag organisiert wird.

+++ re:publica beginnt mit Plädoyer für ein freies Netz +++

Am ersten Tag gab es Visionen im Großen wie im Kleinen. Das fing an mit der charmanten Idee, Leute in anonymen Nachbarschaften über Technologie in Kontakt zu bringen. Und es ging zu Projekten wie Global Voices, einer nicht-kommerziellen Plattform, auf der Blogger aus aller Welt wichtigen Themen aus ihrem Land zusammenfassen - gerade solche, die es im Westen kaum in die Medien schaffen. „Wir versuchen, eine Verbindung zwischen den Bewegungen in verschiedenen Ländern aufzubauen und ihnen zu helfen, voneinander zu lernen“, sagte die Aktivistin Solana Larsen.

Ein Schwerpunkt ist die Debatte über das Urheberrecht im Internet. Dank der Piraten werde das Thema nicht mehr negiert, sagte Elmar Giglinger, Geschäftsführer des Medienboards Berlin-Brandenburg. Er brach eine Lanze für die Rechte der Urheber und Verwerter. In einem freien Internet müsse auch jeder Kreative entscheiden können, „wann, wo, wie auf welcher Plattform, ob kostenfrei oder kostenpflichtig Content veröffentlicht wird.“ Eine Kultur-Flatrate – also eine Abgabe aller Internet-Nutzer zur Finanzierung von kreativen Leistungen im Netz – eine Zwangsabgabe könne keine Lösung sein.

Das umstrittene Urheberrechtsabkommen ACTA ist für die Netzaktivisten ein Dauerbrenner. Auf der re:publica machte der Verein Digitale Gesellschaft dagegen mobil und verteilte Flugblätter, Motto: „Du gegen ACTA“. Am Freitag wird der Vereinsvorsitzende Markus Beckedahl – der auch zu den re:publica-Organisatoren gehört – mit dem Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht (Grüne) über das Abkommen diskutieren, das Aktivisten für eine Bedrohung des freien Internets halten.

+++ Lafontaine fordert kostenloses Internet für Arme +++

Große Gefahren für das offene Netz beschwor auch der amerikanische Wissenschaftler Eben Moglen herauf. In weniger als zwei Generationen sei jeder Mensch mit seinem gesamten Denken und Leben im Internet eingebunden. „In dieser Generation entscheiden wir, wie dieses Netzwerk organisiert wird.“

Den Regierungen in aller Welt warf der Professor der Columbia Universität vor, Instrumente zu entwickeln, um mit der Analyse der Nutzerdaten die soziale Kontrolle über die Bevölkerung zu perfektionieren. Auch in großen Unternehmen wie Google und Apple sieht Moglen eine Bedrohung: „Da gibt es eine Suchbox und wir geben unsere Träume ein. Sie verdauen sie dann und sagen uns, wer wir sind.“

Als Ausweg nannte Moglen die Entwicklung von freien Medien im Internet. Dafür sei die Nutzung freier Software und freier Technologien ebenso erforderlich wie die Entwicklung freier Telekommunikationsnetze in öffentlicher Trägerschaft. Auch das so eine große Vision. (dpa)