Früher gab es Kaffee mit Schnaps. Heute ist Friseurmeisterin Kirsten Osterloh* seit über zwei Jahren trocken

"Heute habe ich keine Angst mehr, aber Respekt vor dem Alkohol", sagt Kirsten Osterloh. Die 52-jährige Friseurmeisterin ist seit zweieinhalb Jahren trocken. Es ist Ruhe in ihren Körper eingekehrt, die Hände zittern nicht mehr ständig, sie kippt keinen Schnaps mehr in Kaffee und Saft und stürzt ihn heimlich hinunter. "Jetzt muss ich meine Mitarbeiterin nicht mehr darum bitten, dass sie das Wimpernfärben übernimmt, weil mein Tatter zu stark ist und ich nicht will, dass man meine Alkoholfahne riecht." Kirsten Osterloh hat ihre Freiheit zurückgewonnen, sie trifft ihre Entscheidungen wieder selbst.

Heute atmet sie tief durch, wenn sie mit ihrem Terrier, den sie Püppi ruft, durch ihr Viertel läuft. "Manchmal bemerke ich, wie ich ihm geradezu davonlaufe. Ich habe wieder so viel Energie", sagt sie. Auf dem Tisch ihres Wohnzimmers sind Kaffee, Gebäck und Schokolade drapiert, daneben ein Aschenbecher ("Das ist das Einzige, was ich wirklich nicht lassen kann").

Die Vergangenheit, sagt Osterloh, verschwimmt wie in einer dicken, undurchsichtigen Wolke, die in den Augen beißt. Zehn Jahre hat ihr der Alkohol das Handeln diktiert, beinahe wäre sie an ihm zerbrochen. "Ich wollte mich totsaufen", sagt die Friseurmeisterin.

Wie viele Betroffene trank auch Osterloh, um ihren Schmerz zu betäuben. Und Schmerz spürte sie sehr häufig. "Hast du Kummer mit den Deinen, dann trink dir einen", sagt sie. Diesem Muster folgte sie schon früher. Nach der Scheidung von ihrem ersten Ehemann, mit dem sie zwei heute erwachsene Töchter hat, ertrug sie in ihrer zweiten Ehe viel Gewalt. Der Mann schlug und würgte sie. Osterloh blieb trotzdem bei ihm: "Ich akzeptierte die Schläge, weil ich durch das Trinken so große Schuldgefühle hatte, dass ich dachte, ich wäre auch für die Gewalt selbst verantwortlich." Nun fing sie an, bereits früh am Morgen zu trinken.

"Trotzdem dachte ich, dass ich noch alles im Griff habe", sagt die 52-Jährige. Denn die Arbeit und der Haushalt funktionierten, zunächst noch. Den Töchtern, die auf eine teure Privatschule gingen, kaufte sie ein Pferd und bezahlte ihnen Urlaubsreisen - Abstriche machte sie nur bei sich, sie selbst fuhr nie in die Ferien. "Mein Urlaub war der Rausch", sagt sie. "Ich stand zehn Stunden pro Tag im Salon, trank, um mich auf Trab zu halten." Aufgaben die sie nicht übernehmen konnte, delegierte sie an die Mitarbeiter.

Vor dreieinhalb Jahren war sie am Tiefpunkt. Ihr Ehemann bedrohte sie mit einer Pistole und sagte: "Du säufst zu viel." Sie ergriff über Nacht die Flucht, traf die Entscheidung, sich totzutrinken. Wodka wurde zu ihrem Schmerzmittel, die Dosierung stieg alle 24 Stunden, ein Jahr lang. "Erst als meine Töchter vor mir standen und sagten: 'Du hast versprochen, dass du aufhörst', begab ich mich in Therapie." Um nicht wortbrüchig zu werden, stellte sie sich in der Klinik Alsterdorf dem Entzug. Vor allem die Therapiegruppe hilft ihr heute: "Das ist meine Überlebensversicherung." Die Trockenheit bringe ein Stück Demut mit sich - und Dankbarkeit. Mit den Gleichgesinnten hat sie neue Freunde gewonnen. Kirsten Osterloh fährt demnächst in die Ferien, in die Türkei. "Die Sonne genießen."

*Name geändert