Krebs ist nicht gleich Krebs. Ärzte setzen vermehrt auf kombinierte Therapien gegen die heimtückische Krankheit, auch weil jeder Tumor anders ist.

Hamburg. Die Diagnose Krebs schockiert: Wer erfährt, dass er an Krebs erkrankt ist, wird von Angst gepackt - vor Operationen, anstrengenden Chemotherapien und davor, dass vielleicht doch keine Therapie mehr hilft. Besonders erschreckend ist es, wenn dem Krebs relativ junge Menschen zum Opfer fallen, die mitten im Leben standen, so wie der Regisseur Christoph Schlingensief , der kürzlich mit 49 Jahren an Lungenkrebs starb, oder der 48 Jahre alte bayerische Grünen-Politiker Sepp Daxenberger , der einem Knochenmarkkrebs erlag. Für dieses Jahr rechnen Forscher mit 450 000 Krebsneuerkrankungen in Deutschland .

Doch Krebs ist nicht gleich Krebs. So unterschiedlich die vielen Tumorerkrankungen sind, so sind es auch die Behandlungsmöglichkeiten und Heilungschancen. An der Spitze stehen nach wie vor bei den Männern Prostatakrebs, bei Frauen Brustkrebs, bei beiden Geschlechtern gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. "Da insgesamt der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt, werden vor allem Krebsarten zunehmen, die in höherem Alter auftreten, wie zum Beispiel Prostatakrebs und bestimmte bösartige Veränderungen des Knochenmarks", sagt Prof. Udo Vanhoefer, Chefarzt des Zentrums Innere Medizin und Leiter des Onkologischen Zentrums am Hamburger Marienkrankenhaus. Doch auch andere Krebsarten gewinnen an Bedeutung: So nimmt der schwarze Hautkrebs, das Melanom, stark zu: "An diesem Krebs erkranken pro Jahr 16 000 Menschen neu, fünfmal so viele wie noch vor 50 Jahren. Hauptrisikofaktor ist die erhöhte UV-Belastung durch Sonneneinstrahlung", sagt Vanhoefer.

Dass manche Tumorarten etwas von ihrem Schrecken verloren haben, liegt zum einen daran, dass sie früher entdeckt werden, zum anderen aber auch daran, dass es bessere Behandlungsmöglichkeiten gibt als noch vor wenigen Jahren. So werden heute bei vielen Krebsarten Antikörper eingesetzt, die auf unterschiedliche Weise das Wachstum der Tumorzellen bremsen. "So kamen in den 90er-Jahren die ersten klinischen Forschungsansätze über die Beeinflussung von Wachstumsfaktoren der Krebszellen auf. Das war damals für viele Ärzte noch gar nicht vorstellbar. Seitdem gibt es eine dramatische Änderung der Behandlungskonzepte", sagt Vanhoefer.

Der größte Fortschritt durch die Einführung solcher Antikörper sei in der Behandlung von Lymphdrüsenkrebs erzielt worden: "Rituximab ist ein Antikörper, der gegen ein bestimmtes Oberflächenmerkmal der Krebszellen gerichtet ist. Durch die Behandlung mit diesem Medikament konnten die Heilungschancen und die Überlebenszeiten der Patienten erheblich verbessert werden. Wie sehr, ist aber stark abhängig vom Untertyp des Lymphoms."

Ein weiteres Beispiel seien Therapieerfolge bei Geschwulsten, die aus Gewebeanteilen des Magens und des Darms hervorgehen und in die Bauchhöhle und Leber Metastasen setzen können (GIST-Tumoren). "Diese Tumoren sind heute durch den Wirkstoff Imatinib sehr gut behandelbar", erklärt der Onkologe. Bei diesem molekularen Therapieansatz, der seit 2002 zugelassen ist, wird ein spezieller Rezeptor der Tumorzelle durch das Medikament ausgeschaltet, sodass sich die bösartigen Zellen nicht mehr teilen. "Die Tabletten haben aufgrund des gezielten Wirkmechanismus relativ wenige Nebenwirkungen und die Patienten können heute trotz Metastasen mit sehr guter Lebensqualität jahrelang mit der Krankheit leben. Früher lag die Lebenswartung dieser Patienten im Durchschnitt deutlich unter zwei Jahren."

Um abschätzen zu können, ob die Therapie mit solchen zielgerichteten Medikamenten hilft, ziehen die Ärzte auch tumorgenetische Untersuchungen heran. "Denn man weiß, dass diese Therapie bei bestimmten Mutationen nicht greift. Deswegen analysieren wir gezielt, welche Patienten von der Therapie profitieren und welche nicht. Wenn man feststellt, dass einer dieser sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitoren nicht wirkt, kann man immer noch auf ein anderes Medikament der gleichen Wirkgruppe ausweichen."

Diese Form der Therapie ist das, was Experten heute unter dem Stichwort "individualisierte Medizin" zusammenfassen. Kein Tumor ist wie der andere, und die Therapie richtet sich nach den individuellen Merkmalen des Patienten und der Tumorart.

Einer der Vorreiter dieser neuen Strategie ist die Brustkrebstherapie. Der Antikörper-Wirkstoff Herceptin, der bei Frauen eingesetzt wird, die den Wachstumsfaktor "Her2/neu" auf ihren Krebszellen haben, wird jetzt auch zur Behandlung des Magenkrebses eingesetzt. "Eine Ausprägung des Magenkarzinoms produziert das gleiche 'Her2/neu', wie er bei Frauen mit den bestimmten Brustkrebstypen gefunden wird. Man hat jetzt herausgefunden, dass für diese Patienten eine Chemotherapie in Kombination mit dem Antikörper wesentlich besser wirksam ist, als die alleinige Chemotherapie. Der Antikörper wurde in diesem Jahr dafür zugelassen", sagt Vanhoefer.

Dieser kombinierte Therapieansatz hat sich auch bei Darmkrebs als effektiv erwiesen - aber nur, wenn die Krebszellen nicht eine bestimmte Mutation aufweisen. Bewährt hat sich in der Darmkrebstherapie bereits die Kombination einer Chemotherapie mit dem Wirkstoff Bevacizumab, der die Bildung von neuen Blutgefäßen im Tumor hemmt und 2004 zugelassen wurde.

Weitere Entwicklungen versprechen neue Therapieansätze, auch wenn die ersten Erfolge noch bescheiden klingen: Im April wurde in den USA eine therapeutische Impfung gegen Prostatakrebs zugelassen. "Dabei werden Blutbestandteile des Patienten mit einem Protein verschmolzen und dem Patienten verabreicht. Das führt dazu, dass bestimmte Zellen des Immunsystems ein Enzym angreifen, das vor allem von Prostatakrebszellen produziert wird, und so das Tumorwachstum gehemmt wird. Es darf in den USA eingesetzt werden bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs, denen eine Hormontherapie nicht mehr hilft, und verlängert die Überlebenszeit um weitere vier Monate", berichtet Udo Vanhoefer.

Auch zur Behandlung des Melanoms wird ein Antikörper getestet: Er richtet sich gegen ein Eiweiß, das das Immunsystem reguliert. Das hat zur Folge, dass eine Abwehrreaktion gegen das Melanom in Gang gesetzt wird. Vanhoefer: "Das Mittel befindet sich zurzeit im Zulassungsverfahren. In Studien bei Patienten mit fortgeschrittenem und metastasiertem Melanom verlängerte es die Überlebenszeit um drei Monate."

Den größten Forschungsbedarf sieht der Onkologe auf dem Gebiet der Molekulargenetik: "Wir müssen in Zukunft noch mehr verstehen, wie Veränderungen in den Tumorzellen und die Wirkmechanismen der Medikamente zusammenhängen, um Resistenzen gegen die neuen Medikamente beherrschen zu können." Man wisse bereits, dass Tumorzellen Wege finden, die Angriffspunkte der Medikamente zu umgehen. Dann könne man oft noch auf andere Medikamente ausweichen. "Aber die Therapiemöglichkeiten werden nach Versagen eines Medikamentes immer geringer."

Trotz aller neuen Erkenntnisse bleibt der Krebs eine bedrohliche Erkrankung. Gerade deswegen sei die ganzheitliche Behandlung des Patienten wichtig, sagt Vanhoefer: "Und dazu gehört neben der onkologischen auch die soziale und psychoonkologische Betreuung sowie unterstützende Maßnahmen, wie zum Beispiel die Schmerztherapie und die pflegerische Versorgung."