Für Cluster-Kopfschmerzen kennt man weder die Ursache, noch gibt es eine Heilung

Hamburg. Im linken Kiefer fängt das Drücken an, schleicht sich dann ganz langsam und bedrohlich nach oben, erst Richtung Gehirn, dann gen Auge. Hier entwickeln sich die Schmerzen zu den schlimmsten, die Andreas Ritter* je erlebt hat. "Es ist, als wenn mir ein spitzer Gegenstand immer wieder ins Auge und in den Kopf gerammt wird", sagt der 26-jährige Student. Ritter hat Cluster-Kopfschmerzen. Seit mehr als drei Jahren suchen ihn die wohl stärksten Kopfschmerzattacken regelmäßig heim, bleiben eine Weile, um ihn dann wieder für einige Monate in trügerischer Ruhe zu lassen. Cluster-Kopfschmerzen sind eine Krankheit, die die Mediziner schon seit Jahren vor ein Rätsel stellt. Weder ist bisher die genaue Ursache bekannt, noch ist ein Heilmittel gefunden worden.

Nur einer von tausend Menschen erkrankt an Cluster-Kopfschmerzen; das sind hierzulande in etwa 80 000 Betroffene. Nur bei zehn Prozent verläuft die Krankheit chronisch. Welche Qualen sie erleiden, übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Wenn Kopfschmerzpatienten gefragt werden, mit welcher Intensität sie die Schmerzen empfinden, auf einer Skala von null (kein Schmerz) bis zehn ("Ich denke darüber nach, vom Balkon zu springen") geben Migräne-Patienten oft 7-8 an. Cluster-Patienten antworten typischerweise mit elf.

Bevor die Diagnose feststand, tourte Ritter von Arzt zu Arzt

Ritter hat ein Jahr warten müssen, bis die Diagnose stand. Zuvor gab es zahlreiche Besuche beim Hausarzt, dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt und seinem Zahnarzt. Er kam mit den abenteuerlichsten Befunden oder Spritzen gegen Verspannungen im Nacken nach Hause. Die große Ungewissheit hat ihn fast so sehr gequält wie die Schmerzen selbst. Erst der zweite Neurologe, den er aufsuchte, konnte Ritters Erkrankung einen Namen geben.

Sein Neurologe hat Ritter einen Kalzium-Blocker verschrieben, eine Substanz, die eigentlich bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird. Aber auch bei Cluster-Kopfschmerzen soll sie überaus wirksam sein und die Häufigkeit der Attacken verringern. Ritter ist skeptisch, denn die Attacken bleiben mit der Einnahme des Medikaments nicht aus. "Ob sie häufiger auftreten würden, wenn ich das Medikament absetzen würde, kann ich nicht beurteilen", sagt er. Kurz nach der Diagnose hat er zusätzlich Kortison eingenommen, um die Zeit bis zum Wirkungseintritt des Blockers zu überbrücken. Wegen des erhöhten Nebenwirkungs-Risikos musste Ritter es aber bald absetzen.

"Der Kalzium-Blocker Verapamil ist das derzeit wirksamste Mittel in der Prophylaxe von Cluster-Kopfschmerzen", sagt Dr. Tim Jürgens vom Kopfschmerzzentrum am Universitätsklinikum Eppendorf. "Man vermutet, dass es Kalzium-Kanäle im Hypothalamus, einem wichtigen Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems und Entstehungsort der Cluster-Kopfschmerzen, blockieren kann." Attacken träten seltener auf und hielten nicht mehr ganz so lange an. Auch andere Medikamente kämen bereits zum Einsatz: Lithium, das unter anderem bei Manien Verwendung findet, und Topamax, ein Epilepsiemedikament.

Kopfschmerz-Attacken können aber durch all diese Arzneien nur bis zu einem gewissen Grad unterdrückt werden. Allerdings gibt es zwei Methoden, mithilfe derer den Schmerzen ihre Spitzen genommen werden können, wenngleich die Forschung die Gründe für diese Wirksamkeit noch nicht kennt: Die Inhalation reinen Sauerstoffs und die Einnahme von Triptanen, einer Wirkstoffgruppe aus der Migränetherapie.

"Triptane können jedoch nicht bedenkenlos eingenommen werden", warnt Jürgens. "Bei übermäßigem Gebrauch kann die Wirksamkeit mit der Zeit ab- und die Häufigkeit der Attacken zunehmen." Andreas Ritter behagen beide Methoden nicht sonderlich. Er möchte weder seinen Alltag nach dem Standort einer Zehn-Liter-Flasche Sauerstoff ausrichten noch ein weiteres starkes Medikament einnehmen.

Auch eine Operation zur Stimulation von Nerven wird getestet

In Essen erprobt Dr. Charly Gaul, der Leiter des Kopfschmerzzentrums, derzeit die Wirksamkeit der bilateralen Nervus-Occipitalis-Stimulation. Bereits elf Patienten wurden Elektroden eingesetzt, die die Hinterhauptnerven beiderseits stimulieren. Nach einem kleinen Einschnitt am Hinterkopf wird ein Draht eingeführt, Kabel werden den Rücken entlang verlegt und ein handtellergroßer Generator über dem Gesäß implantiert. Hier können die Patienten selbst die Reizintensität bestimmen. Im Laufe der Stimulation können Schmerzen überlagert werden. Mehr als die Hälfte der Patienten ist mit dem Behandlungsergebnis überaus zufrieden.

Auf Unterstützung von Seiten der Pharma-Industrie können die Wissenschaftler bei der Erforschung von Cluster-Kopfschmerzen übrigens nicht hoffen. Dazu sei die Anzahl der Betroffenen viel zu klein, so die Ärzte.

* Name auf eigenen Wunsch geändert