Ursprünglich in der Medizin weit verbreitet, galt Cannabis zuletzt nur als Droge. Wie Ärzte es heute wieder einsetzen und wo die Probleme liegen

Hamburg. Um die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis wissen die Menschen seit Jahrhunderten: Alte chinesische Arzneibücher und die Ärzte der Antike lobten das Kraut als Heilpflanze, die Entzündungen, Schmerzen und Krämpfe lindere. In Deutschland waren Cannabis-Medikamente, im Gegensatz zu Großbritannien und den Vereinigten Staaten, bisher nur eingeschränkt zugelassen. Anfang der Woche kündigte das Bundesgesundheitsministerium eine Änderung des Betäubungsmittelrechts an, die es Ärzten erleichtern soll, Schwerkranken Cannabis-Arzneien zu verschreiben. Laut Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sollten die Medikamente vor allem bei der Schmerzbehandlung von Multiple-Sklerose-Patienten eingesetzt werden.

Bisher wurden nur Ausnahmen genehmigt - obwohl die Zustimmung in der Bevölkerung groß ist: 75 Prozent von 1001 Befragten sprachen sich in einer aktuellen Studie des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die medizinische Verwendung von Cannabis aus.

THC wirkt krampflösend und gegen Übelkeit

Derweil dürfen viele Ärzte die Medikamente zwar verschreiben, von den Krankenkassen erstattet werden sie aber nicht. "Und das, obwohl es für das grüne Kraut eine Vielzahl von Anwendungsgebieten gibt", sagt der Leiter der Schmerzambulanz im UKE, Dr. Jan Stork. Neben der krampflösenden Wirkung, die Multiple-Sklerose-Patienten zugutekommt, setzt Stork Medikamente, die den Hanf-Hauptwirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten, vor allem bei Krebskranken ein.

"Das synthetische Cannabinoid Delta-9-THC ist eines der potentesten Mittel, um Übelkeit bei Hirntumoren vorzubeugen", erklärt der Schmerztherapeut. Krebskranke Patienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen, hilft die appetitanregende Wirkung des Stoffs. Der Mediziner verweist auf Fallberichte, die darüber hinaus einen positiven Effekt bei der Behandlung des Tourette-Syndroms und des Grünen Stars nahelegen.

Dass der Regierung mit der Änderung des Betäubungsmittelrechts nun "der große Wurf gelungen ist", bezweifelt Stork. Zumindest für die Schmerzambulanz des UKE und deren Patienten wird sich in Zukunft nur wenig ändern. "Schon seit 1996 kommen Cannabinoide bei uns in Form von Kapseln oder Ölen zum Einsatz", sagt der Anästhesist. Der Patientenkreis beschränkt sich auf eine übersichtliche Größe. "Viele haben Angst vor den Nebenwirkungen, die auftreten können", so Stork.

Und tatsächlich sind die nie völlig auszuschließen. Auch wenn es einen eminenten Unterschied zwischen dem illegal konsumierten Blüten des Hanfs, die beim Kiffen inhaliert werden, und den synthetischen Cannabis-Kapseln und -Ölen gibt, die Dr. Jan Stork seinen Schmerzpatienten verabreicht. Storks Cannabis-Medizin ist der Wirkstoff in Reinform, während die Substanzen der Hanfblüten einem "Medikamentencocktail" gleichkommen und rund 60 verschiedene Cannabinoide enthalten. Jedoch: Die psychoaktive Form des Wirkstoffs bleibt auch bei der medikamentösen Verabreichung enthalten. "In unserem Körper haben wir zwei Cannabinoid-Rezeptoren, die sogenannten CB-1 und CB-2." Da das hoch konzentrierte Substrat, das sogenannte Delta-9-THC, auch den für psychoaktive Effekte zuständigen Rezeptor CB-1 anspricht, könnten Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Unwohlsein nicht ausgeschlossen werden.

Es droht keine körperliche Abhängigkeit

Angstzustände oder Schizophrenie, so der Arzt, drohten aber keinesfalls. "Da wir nur geringe Mengen verabreichen, anfangs dreimal täglich lediglich 1,25 Milligramm, besteht da keine Gefahr", erklärt Stork. Als Vergleich: Für hartnäckige Hanf-Raucher sind zwei Gramm Cannabis am Tag keine Seltenheit (auch wenn die Konzentration des Wirkstoffs hier weitaus geringer ist). Da bei den niedrig dosierten synthetischen Cannabis-Medikamenten keine körperliche Abhängigkeit drohe, stellten sie eine wirksame Alternative zu hoch potenten Opioiden dar, konstatiert Stork. "Ein Allheilmittel sehe ich darin aber nicht."

Große Hoffnung in die Pläne der Koalition setzt Dr. Naschmil Pollmann, Fachärztin für Anästhesie in Blankenese. Sie schwört auf das umstrittene Kraut. "Auch dort, wo sonst nichts wirkt, insbesondere bei Nervenschmerzen, können Cannabis-Medikamente sehr hilfreich sein", beobachtet Pollmann. Sie kritisiert, dass der Wirkstoff trotz vorweisbarer Erfolge nicht von den gesetzlichen Krankenkassen getragen wird. "Obwohl wir sogar dazu ermutigt wurden, Kapseln zu verschreiben, sind die Medikamente bisher nicht erstattungsfähig." Drei Jahre, erklärt sie, habe sie ihre Patienten mit dem Wirkstoff versorgt, in der Annahme, dass ihr der Wirkstoff erstattet werde. Dann habe die Krankenkasse rückwirkend die Kosten gefordert, 23 000 Euro waren das. Das gehe vielen Kollegen ähnlich, beteuert sie. "Für einige ist es existenzbedrohend", so Pollmann.