Soziale Kontakte steigern die Überlebenswahrscheinlichkeit um 50 Prozent

San Francisco. Einsamkeit ist nach einer neuen Studie etwa so schädlich wie Rauchen oder Fettsucht. Ärzte und andere Gesundheitsexperten sollten daher das soziale Umfeld ebenso ernst nehmen wie Tabakkonsum, Ernährung und Sport. Das schließen Forscher aus einer Analyse von 148 Studien zum Sterberisiko, die Daten von mehr als 300 000 Menschen vor allem in westlichen Ländern erfassten.

Demnach haben Menschen mit einem guten Freundes- und Bekanntenkreis eine um 50 Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als Menschen mit einem geringen sozialen Umfeld. Der Effekt sei in etwa so groß wie der zwischen Rauchern und Nichtrauchern, und er übertreffe viele andere Risikofaktoren wie Übergewicht oder Bewegungsmangel. Diese Erkenntnisse präsentierten Julianne Holt-Lunstad vom Psychologischen Institut der Brigham Young University im US-Staat Utah und Kollegen im Journal "PLoS Medicine" vom Dienstag.

Positive Effekte unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialem Status

Die Forscher hatten dafür Studien ausgewertet, die Menschen im Schnitt über 7,5 Jahre hinweg beobachtet hatten. Der Auswirkung von sozialen Kontakten auf die Sterblichkeit zeigte sich übergreifend, auch wenn man Alter, Geschlecht und sozialen Status berücksichtigte. Da der Zusammenhang von sozialem Umfeld und Sterblichkeit altersunabhängig sei, sollten Ärzte zukünftig nicht nur einen Blick auf das Umfeld älterer Menschen werfen, folgerten die Wissenschaftler.

Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer betrug 64 Jahre. Den größten Effekt aller gemessenen Faktoren hatte die allgemeine soziale Integration, am wenigsten ausschlaggebend war, ob die Menschen allein oder mit anderen zusammenlebten. Das soziale Umfeld habe Auswirkungen auf den Umgang mit der eigenen Gesundheit und auf psychologische Prozesse wie Stress und Depressionen, erläutern die Forscher. Einige Studien hätten gezeigt, dass Kontakte das Immunsystem stärken. Jede Art, das soziale Umfeld zu verbessern, werde sowohl die Überlebensfähigkeit als auch die Lebensqualität verbessern, schlussfolgerten Holt-Lunstad und ihre Kollegen.

Gesundheitsvorsorge sollte daher auch das soziale Befinden betrachten, Mediziner sollten Sozialkontakte und Kliniken soziale Netzwerke für Patienten fördern. "Mediziner, Gesundheitsexperten, Erzieher und die Medien nehmen Faktoren wie Rauchen, Ernährung und Sport sehr ernst: Die hier präsentierten Daten bieten ein stichhaltiges Argument, die sozialen Faktoren zu dieser Liste hinzuzufügen", betonen die Wissenschaftler.

Bereits in den 40er- und 50er-Jahren hatten Wissenschaftler eine vermehrte Kindersterblichkeit unter anderem in Waisenhäusern festgestellt, in denen den Kindern Kontakte fehlten. Vor zwei Jahrzehnten war dann erstmals die These aufgestellt worden, dass soziale Bindungen eine direkte Auswirkung auf die Lebenserwartung haben könnten. Jedoch, so die Autoren der jetzt vorgelegten Studie, sei die Messgröße "soziale Kontakte" in der Wissenschaft bisher als eine ein wenig unscharfe Variable angesehen worden, die die Präzision und die Möglichkeit der Messbarkeit, wie sie in der biologischen und medizinischen Forschung bevorzugt wird, vermissen ließ.

Der Faktor Kontakte sollte stärker berücksichtigt werden, so die Forscher

Gerade aber vor dem Hintergrund, dass die Quantität und/oder die Qualität von sozialen Bindungen in der heutigen Gesellschaft nachließe (unter anderem durch den Wegfall von generationsübergreifendem Wohnen, soziale Mobilität und vermehrte Single-Haushalte), sei die Berücksichtigung des Faktors Kontakte wichtig, so die Wissenschaftler. Immerhin habe sich die Zahl der Amerikaner, die aussagten, keine Vertrauensperson zu haben, in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdreifacht, so Holt-Lunstad und Kollegen.