Immunität der Bevölkerung nimmt Erregern die Chance

Hamburg. Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen, verbreiten für eine Weile Angst und Schrecken und tauchen dann genauso schnell wieder ab, wie sie gekommen sind. "Das ist der typische Verlauf von Virusepidemien", sagt Prof. Bernhard Fleischer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin. Die Lungenseuche Sars oder zuletzt die Schweinegrippe hielten monatelang die Welt in Atem. Viele Menschen infizierten sich mit den Viren, doch bei der Schweinegrippe verlief die Infektionswelle weitaus glimpflicher als zunächst befürchtet. Dafür, dass Seuchen schnell wieder verschwinden, gibt es mehrere Gründe. Ganz wichtig ist der Immunschutz der Bevölkerung, entweder durch Impfung oder dadurch, dass viele Menschen die Erkrankung gehabt haben. "Das führt immer dazu, dass der Erreger verschwindet", sagt der Wissenschaftler.

Als Beispiel nennt er das Chikungunya-Fieber , das mit hohem Fieber, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen einhergeht und von Mücken übertragen wird. "2006 gab es im Indischen Ozean eine große Epidemie, allein auf der Insel Reunion waren 700 000 der 800 000 Einwohner erkrankt. Diese Infektion ist wieder verschwunden, weil die Bevölkerung dort fast vollständig mit dem Virus infiziert worden ist und Antikörper dagegen gebildet hat." Meist beginnt eine solche Epidemie dadurch, dass jemand, der das Virus im Blut hat, in ein Gebiet einreist, in dem die Überträgermücken vorhanden sind. Die Mücke saugt sein Blut und überträgt das Virus auf andere Menschen. Wenn die Bevölkerung keinen Antikörperschutz hat, kann sich die Infektion explosionsartig ausbreiten. Sobald die Einheimischen Antikörper haben, hat das Virus keine Chance mehr. Auch Touristen ohne Immunität erkranken dann nicht mehr, weil es nicht mehr genügend Infizierte gibt. Das nennt man Herdenimmunität.

"Den gleichen Schutz versuchen wir durch Impfungen zu erreichen", sagt Fleischer. Wenn z. B. 90 Prozent der Bevölkerung gegen Masern geimpft sind, kann das Virus sich nicht ausbreiten, weil es überwiegend auf Geimpfte trifft. Das schützt auch die Nichtgeimpften. "Sinkt der Impfschutz unter 90 Prozent, zum Beispiel weil Kinderärzte ihre kleinen Patienten nicht mehr gegen die Infektion impfen, hat das Virus wieder eine Chance und es kommt zu kleineren Epidemien, wie sie in den vergangenen Jahren mehrfach in Süddeutschland aufgetreten sind."

Bei anderen Infektionen verhinderten gezielte Gegenmaßnahmen die Ausbreitung. So wurde die Lungenseuche Sars , die 2003 um die Welt ging, dadurch eingedämmt, dass alle Menschen, die das Virus ausschieden, isoliert wurden. "Das war möglich, weil die Erkrankten erst infektiös waren, wenn sie bereits Symptome hatten."

Gezielte Maßnahmen wie zum Beispiel Ausfuhrverbote und Testungen halfen auch gegen die Ausbreitung der Rinderseuche BSE in den 90er-Jahren. Die Tierseuche steht in Zusammenhang mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) . Doch noch immer ist nicht endgültig geklärt, welch ein Erreger dahintersteckt. "Es gibt Experten, die bezweifeln, dass die Infektion durch ein falsch gefaltetes Protein erfolgt und eher daran glauben, dass auch bei dieser Erkrankung Viren beteiligt sind. So ist es zum Beispiel noch nie gelungen, mit diesem falsch gefalteten Protein, das man im Reagenzglas herstellen kann, bei Mäusen die Krankheit zu erzeugen. Man kann die Krankheit immer nur hervorrufen, wenn ein infiziertes Tier beteiligt war", sagt der Wissenschaftler.

Noch heute gelten Vorsichtsmaßnahmen, weil die vCJK möglicherweise erst mehrere, vielleicht sogar mehr als zehn Jahre nach der Ansteckung ausbricht. Eine lange Inkubationszeit birgt das Risiko, dass Infizierte andere anstecken, ohne dass sie selbst von ihrer Erkrankung wissen. In Deutschland ist bisher kein Fall von vCJK gemeldet worden.

Mitentscheidend für die Ausbreitung ist auch die krankmachende Wirkung der Erreger. So sind Epidemien durch gefährliche tropische Viren wie Ebola- und Marburg-Viren meist örtlich begrenzt. "Sie haben eine kurze Inkubationszeit und eine hohe Sterberate. Wer sich infiziert, wird innerhalb kürzester Zeit schwer krank, sodass das Risiko, dass er viele Menschen ansteckt, gering ist", sagt Fleischer. Trotzdem kehren diese Viren immer wieder, weil sie in Tieren überleben, die durch diese Viren nicht krank werden. "Viren wie Ebola und Marburg sitzen in Fledermäusen. Sie sind ein natürliches Reservoir für viele Viren." Wenn ein Affe eine Fledermaus fängt und sich infiziert, greift die Infektion auf andere Affen über. Menschen stecken sich an, indem sie infiziertes Affenfleisch essen.

Aber es gibt auch immer wieder neue Viren: "In Fledermäusen werden erstaunlich viele bisher unbekannte Viren gefunden. Wahrscheinlich stecken auch wir Menschen voller neuer Viren und wissen es gar nicht", sagt Fleischer.

Um solchen neuen Erregern auf die Spur zu kommen, wenden Forscher seit einigen Jahren eine aufwendige und teure Methode an, das Deep Sequenzing. "Dabei werden die Bausteine aller Gene, die in einer Zelle vorkommen, analysiert. Man erhält dann Millionen von Gensequenzen, die per Computer mit bekannten Sequenzen verglichen werden, die in Datenbanken hinterlegt sind. Nimmt man alles heraus, was nicht in Beschreibungen menschlicher Gene hineinpasst, bleibt vielleicht ein Gen übrig und das kann ein neues Virus sein. So hat man schon mehrere neue Viren gefunden", erklärt Fleischer.

Von dieser Methode erhoffen Forscher sich neue Erkenntnisse über Krankheiten, deren Ursache bisher ungeklärt ist. So hat man schon neue Viren gefunden, die an einer bestimmten Variante des Prostatakrebses beteiligt sind und auch beim Merkelzellkarzinom, einer seltenen Form des Hautkrebses . Damit entdeckt wurden auch neue Viren bei Patienten, die nach einer Organtransplantation an ungeklärten Erkrankungen gestorben sind. Dieses Virus machte die Patienten nur krank, weil das Immunsystem der Patienten unterdrückt wurde, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern.

"Wir haben viele Viren in uns, die uns normalerweise nicht krank machen. Das JC-Virus haben 90 Prozent der Bevölkerung in sich, in der Niere und im Gehirn. Jetzt hat man herausgefunden, dass dieses Virus bei bestimmten Therapieformen, die stark in das Immunsystem eingreifen, aktiviert werden kann", sagt Fleischer. Er nennt die Therapie der Multiplen Sklerose mit dem Wirkstoff Natalizumab, der bestimmte Immunzellen daran hindert, in das Gehirn einzudringen und dort körpereigenes Gewebe anzugreifen. Als seltene Nebenwirkung tritt bei dieser Therapie durch die Aktivierung der JC-Viren eine schwere Gehirnerkrankung auf, die sogenannte Progressive Multifokale Leukenzephalopathie.

Krankheitserreger verbreiten sich schneller als man denkt

Quelle: RKI