Bremen (dpa/lni). Nach „Slow Food“ bekommt die „Slow Flower“-Bewegung immer mehr Aufmerksamkeit. Gärtnerinnen und Floristen bieten saisonale Sträuße an - regional und ohne Pestizide.

Claudia Werners Arbeitstag beginnt im Sommer früh morgens, lange vor ihrem ersten Kaffee. Die Bremerin muss zu ihren Dahlien, Kosmeen und Löwenmäulchen. Wenn es noch nicht so warm ist, ist die beste Zeit zum Wässern, Düngen und Schneiden.

„Ich ziehe alles selbst auf: Vom Samen oder der Knolle bis zur fertigen Pflanze“, sagt sie. Aus den Schnittblumen bindet sie bunte Sträuße, die sie in Bioläden verkauft.

Manchmal steht die 51-Jährige auch auf Märkten, und freitagnachmittags verkauft sie direkt aus ihrem „kleinen wilden Garten“, wie sie ihn und ihr kleines Unternehmen nennt. Außerdem stattet sie Hochzeits- sowie Geburtstagsfeiern oder Beerdigungen mit saisonalen Blumengestecken, Kränzen oder Brautsträußen aus. Claudia Werner gehört der vor drei Jahren im deutschsprachigen Raum gegründeten „Slow Flower“-Bewegung an.

Gegentrend zu „Fast Food“

Die 1986 in Italien entstandene „Slow Food“-Bewegung setzt sich weltweit für regionale und hochwertige Lebensmittel ein - als Gegentrend zum „Fast Food“. Die „Slow Flower“-Initiative, zu der Gärtnerinnen und Floristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören, will an diese Idee anknüpfen. „Wir arbeiten ressourcenschonend, mit möglichst wenig Wasser und Strom und ohne Pestizide und plastikreduziert ohne Steckschaum“, sagt Claudia Werner.

Die Bremerin nutzt zum Beispiel zwar ein Gewächshaus, beheizt es aber nicht. Im Winter zieht sie darin Anemonen und Ranunkeln auf, bei Frost stellt sie Kerzen daneben, über die sie Tontöpfe stülpt. Die dadurch erzeugte Wärme verhindert das Erfrieren der jungen Pflanzen. „Über solche Tricks tauschen wir uns in der „Slow Flower“-Bewegung rege aus“, erzählt sie.

Fast 200 Mitglieder zählt die Organisation, die kurz vor der Vereinsgründung steht und im Herbst ihr erstes Buch veröffentlicht. „Wir haben mit sieben Leuten angefangen“, sagt Landschaftsarchitektin und Gründungsmitglied Chantal Remmert, die im baden-württembergischen Schwäbisch Hall ihre eigenen Blumen als kunstvolle Bouquets verkauft. „Wir sind rasant gewachsen.“

Blumen aus den Niederlanden und Afrika

Remmert machte sich 2016 selbstständig mit nachhaltiger Floristik. Damals baute sie in ihrer Gärtnerei „Erna Primula“ noch in Leipzig Schnittblumen an. „Ich hatte dafür kein Vorbild in Deutschland, ich habe mich nach England, die USA und Italien orientiert, wo es nachhaltige Floristik schon länger gibt“, sagt sie. Erst eine Praktikantin, die ihre Bachelorarbeit über nachhaltigen Blumenhandel in Deutschland schrieb, brachte sie mit Gleichgesinnten in Kontakt. „Wir haben ein Netzwerk gegründet, damit Kundinnen und Kunden wissen, dass es uns gibt.“ Und auch, um Erfahrungen auszutauschen, zum Beispiel bei der Saatgutzucht.

Die mit Abstand meisten in Deutschland angebotenen Schnittblumen kommen aus den Niederlanden, gefolgt von Kenia. „Im Winter kommen vor allem Rosen mit dem Flugzeug aus Afrika“, sagt Arjen Huese, der in Bad Endorf im Chiemgau auf 2000 Quadratmetern Blumen anbaut und ebenfalls Gründungsmitglied der „Slow Flower“-Bewegung ist. Er verkauft seine regionalen und saisonalen Sträuße auch in regulären Blumenläden. „Die Kunden sind begeistert, weil die Blumen frisch sind, es eine Geschichte zu ihnen gibt und ich besondere Sachen liefern kann.“ Zum Beispiel Phlox, Skabiosen oder Thalictrum.

„Die Palette der großen Gärtnereien wird immer schmaler. Die Hälfte aller in Deutschland angebotenen Blumen sind Rosen“, sagt Huese, der schon in England und in den Niederlanden nachhaltige Schnittblumen angebaut hat.

Rosen oft mit Pestiziden behandelt

Die Naturschutzorganisation BUND hatte im Jahr 2012 Rosen untersuchen lassen, die in Supermärkten, Discountern und Blumenläden angeboten wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die Rosen mit bis zu acht verschiedenen Pestiziden belastet waren. „Das ist den meisten Kundinnen und Kunden gar nicht klar“, sagt Chantal Remmert. „Sie haben eine ganz verzerrte Wahrnehmung. Sie meinen, Blumen seien doch immer Bio.“

Am Anfang seien ihre Blumensträuße eher wegen ihres ungewöhnlichen Designs verkauft worden, sagt Remmert: „Da war den meisten die Anbauweise noch egal.“ Inzwischen hat sich das gedreht: Jetzt werden sie in erster Linie wegen des nachhaltigen Anbaus gekauft. Ähnliche Erfahrungen hat Arjen Huese gemacht. „Mein Eindruck ist, dass Menschen, die sowieso schon im Bioladen einkaufen, jetzt damit anfangen, sich über die Herkunft von Schnittblumen Gedanken zu machen.“

Die Bremerin Claudia Werner baut erst seit 2019 professionell Blumen an, zuvor arbeitete sie als Erzieherin. „Ich habe früher auf einem Biohof gearbeitet, und wir hatten schon immer einen eigenen Garten mit Gemüse, Kräutern, Stauden und Rosen“, erzählt sie. Irgendwann wollte sie nicht mehr immer nur schnell durch ihren Garten huschen, um das Notwendigste zu erledigen, sondern sich intensiver mit ihm beschäftigen.

„Es ist nur viel Wissen verloren gegangen“

Im Internet stieß sie auf die „Slow Flower“-Bewegung, absolvierte Workshops und Schulungen, pachtete von ihren Nachbarn rechts und links sowie im Umland weitere Gärten hinzu - und fing an zu pflanzen. „Ich habe weit über 100 verschiedene Arten, und die dann noch mal in verschiedenen Sorten.“ Die Nachfrage steige stetig. „Ich höre häufig, dass meine Sträuße einen lebendigen Charakter haben.“

Im Grunde, sagt Werner, baue sie Blumen an wie früher. „„Slow Flowers“ sind ja keine neue Erfindung“, betont sie, „es ist nur viel Wissen verloren gegangen.“ Im Winter verkauft sie Trockenblumen, zu Gestecken und Sträußen gebunden. Statt Steckschaum aus Plastik verwendet sie für Kränze zum Beispiel Reisig und Moos. Zusätzlich nutzt sie für ihre Sträuße Winterpflanzen wie Hagenbutten, Ilex und Gräser. „Da ist dann Kreativität gefragt“, sagt sie.