Emden (dpa/lni). Für die einen sind Schottergärten praktisch und pflegeleicht, für die anderen leblose Wüsten. Mit einem ungewöhnlichen Wettbewerb bringt das Ökowerk in Emden nun mehr Grün in zehn Vorgärten der Stadt.

Während die Anwohner einer Emder Neubausiedlung im Stadtteil Wolthusen noch beim Frühstück sitzen, ist Heidi Schwarze schon in ihrem Element. Mitten in die leere Erde des Vorgarten eines Einfamilienhauses puzzelt die Gärtnerin eine Pflanze nach der nächsten an ihren künftigen Bestimmungsort.

«Da sollte noch ein Oregano hin. Der ist perfekt für die Pizza», sagt Schwarze, blickt kontrollierend auf ihren Pflanzplan in einer Kladde und stellt dann einen Pott an die passende Stelle. «Oregano ist auch eine mega Bienenweide», ergänzt die Gärtnerin. Doch Bienen und andere Nützlinge suchte man bislang in diesem Vorgarten, in dem lediglich zwei Ahorn-Bäume für grüne Tupfer sorgen, wohl vergeblich.

Denn wo Schwarze jetzt nach und nach gelbe Kamille, Schafgarbe, Männertreu, Grasnelken, einen Schmetterlingsflieder und jede Menge Bodendecker zum Einpflanzen positioniert, lag noch einen Tag zuvor eine zentimeterdicke Schicht Schiefersteine. Der Schottergarten bereitete selbst den Eigentümern einen trostlosen Anblick: «Mich hat der Garten schon die letzten zwei, drei Jahre gestört», sagt Claudia Hafen, die mit ihrer Familie in dem Haus wohnt. Als die Hafens vor einigen Jahren bauten, sollte der Vorgarten für sie und ihren Mann, die damals beide in Vollzeit arbeiteten, möglichst pflegeleicht sein. «Wir wollten einfach keinen Stress haben. Wir haben da gar nicht drüber nachgedacht, dass es auch ein wenig öde ist.»

Ansporn durch Wettbewerb

Dass Heidi Schwarze und ihr Kollege Dieter König vom Emder Ökowerk nun an diesem Morgen den Garten der Hafens auf links drehen, liegt an einem eher ungewöhnlichen Wettbewerb der Umweltbildungseinrichtung, an dem sich die Familie beteiligte. Das Ökowerk hatte Anfang des Jahres im Rahmen des Projekts «Falterfreu(n)de» zusammen mit der Bingo-Umweltstiftung nach den zehn trostlosesten Schottergärten der Seehafenstadt gesucht - also Gärten, die überwiegend mit Schotter, Kies oder Mulch versiegelt sind. Im Gegenzug versprachen Ökowerker den Grundstückseigentümern die öden Schotterflächen in insektenfreundliche Vorgärten umzugestalten.

Naturschützer kritisieren bereits seit Längerem, dass immer mehr Gärten durch solche Schotterflächen versiegelt werden - nicht nur in Ostfriesland. «Wir wollten auf keinen Fall Stimmung machen gegen Schottergärten», sagt der Ökowerk-Projektleiter Frank Gaupels. Auch kämen Schotterwüsten in Emden nicht häufiger vor als anderorts. Vielmehr solle mit dem Wettbewerb auf «lockere» Art ein Bewusstsein für den Arten- und Klimaschutz geschaffen werden. Denn mit einer passenden naturnahen und zugleich pflegeleichten Bepflanzung werde der Vorgarten nicht nur optisch aufgewertet. Das Grün wirke sich auch positiv auf das Mikroklima in Siedlungen aus, biete Insekten Lebensraum und nehme Starkregen besser auf als verdichtete Böden.

21 Bewerbungen gingen beim Ökowerk ein, aus denen eine Jury dann 10 Vorgärten auswählte. Vor allem junge Familien mit Kindern hätten sich beworben, die Lust hatten, an ihren Steinbeeten Hand an zu legen, sagte Gaupels. Der ungewöhnliche Wettbewerb sorgte für bundesweites Aufsehen. Selbst Kommunen aus Süddeutschland erkundigten sich bereits bei den Ostfriesen nach dem Projekt - und jüngst wurde die Aktion auch für den «Blauen Kompass» des Umweltbundesamtes nominiert.

Kommunen haben oft nicht genug Kapazität

Dabei sollte es reine Schottergärten laut niedersächsischer Bauordnung gar nicht geben. Denn demnach müssen nicht überbaute Flächen von Baugrundstücken Grünflächen sein, soweit sie nicht anders genutzt werden, etwa als Stellplatz oder Terrasse. Schotterflächen sind nur in «geringem Maße zulässig», wenn die Vegetation überwiegt. Die Einhaltung überwachen die unteren Bauaufsichten bei den Kommunen. Doch das Vorgehen gegen Schottergärten erfolge in Niedersachsen «sehr unterschiedlich», teilt das Bau- und Umweltministerium in Hannover auf dpa-Anfrage mit. Eine Einschätzung, die auch Frank Gaupels teilt. Viele Kommunen hätten gar nicht die Kapazität, gegen Schottergärten vorzugehen. «Der Aufwand, alte Schottergärten auf Druck umbauen oder rückbauen zu lassen, ist enorm hoch.»

Stattdessen sei vielmehr an die Vernunft der Grundstückseigentümer zu appellieren, den Boden so wenig wie möglich zu versiegeln, teilt das Ministerium mit. Anreize wie das Emder Projekt seien dafür ein gutes Beispiel. Auch die Stadtverwaltung ist von dem Ansatz überzeugt. «Wir wollen die Menschen nicht sanktionieren, sondern lieber positiv abholen und überzeugen», teilt Rainer Kinzel, Fachbereichsleiter Stadtentwicklung und Umwelt mit.

Für Claudia Hafen kam die Ausschreibung wie gerufen. «Das war die Chance, den Schottergarten loszuwerden.» Denn eine Umgestaltung hätten sie und ihr Mann schon länger erwogen - doch wohin mit all dem Schotter? Das sei bei den meisten Schottergärten tatsächlich die drängendste Frage, berichtet auch Gärtnerin Heidi Schwarze. Ein Abnehmer sei nicht immer leicht zu finden. Für den Wettbewerb sprang das Ökowerk ein. Das Abräumen des Schotters sei tatsächlich «ein wahrer Kraftakt», sagt Schwarze. Den Schiefer trugen die Mitarbeiter des Ökowerks erst in mühsamer Handarbeit ab, lösten dann die unterliegende Folie und fuhren schließlich Mutterboden neu auf.

Auf die richtige Pflanzenauswahl kommt es an

Und dann schließe da oft schon die zweite schwere Frage an, berichtet Schwarze: Wie den neu gewonnen Platz im Vorgarten richtig bepflanzen? Einen blütenprächtigen und zugleich pflegeleichten Vorgarten zu gestalten, schließe sich nicht aus, betont die Gärtnerin. Auf die richtige Auswahl der Pflanzen und Bodendecker komme es an. Aber ganz ohne Unkraut jäten und gießen komme ein Garten eben auch nicht aus.

Claudia Hafen gefällt ihr neuer Vorgarten. Auch einige Nachbarn hätten den Vorgarten schon neugierig inspiziert. Klar, noch brauche es ein bisschen Zeit, bis die Pflanzen wachsen und dichter werden, sagt die Besitzerin. Als nächstes will sie ein Insektenhotel und eine kleine Tränke aufstellen. «Da muss jetzt noch ein bisschen was hin, damit nicht nur die Pflanzen da sind, sondern auch noch ein bisschen mehr für die Insekten.» Eine erste Biene hat Familie Hafen bereits beim ersten Angießen der Pflanzen in ihrem neuen Vorgarten entdeckt.