Am Mittwochmorgen könnte Dr. Stanislaw Nawka Rechnungen schreiben, Briefe diktieren, Geld verdienen oder einfach faulenzen. Denn an diesem Vormittag hat der Allgemeinmediziner immer praxisfrei. Stattdessen steht er früh auf, trifft sich mit dem Team der Mobilen Hilfe der Caritas und fährt die Treffpunkte der Obdachlosen ab. Dort stehen die Patienten schon Schlange. Hauterkrankungen, Infektionen, Magenschmerzen und offene Wunden – das sind die häufigsten Krankheiten, die der Arzt sieht. Der Behandlungsraum im Kleinbus ist sehr beengt, die medizinische Ausrüstung auf Notversorgung ausgerichtet, manche der Patienten haben sich seit Tagen nicht gewaschen. Doch Nawka mit seiner zupackenden und offenen Art liebt diese Tätigkeit mit den Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. „Ich kann mit den Obdachlosen oft direkter reden als mit Patienten in meiner Praxis in Bergstedt. Dort bin ich eher ein Mediziner, der mit dem Verstand arbeitet. Hier bin ich mehr mit der Seele dabei. Und ein offenes Ohr ist hier manchmal wichtiger als helfende Hände“, sagt der gläubige Katholik. Als Christ fände er es zudem wichtig, ein Zeichen zu setzen. „Ich will nicht Nächstenliebe predigen, sondern praktizieren.“ Zu dem Ehrenamt kam Dr. Nawka durch Zufall. Vor 18 Jahren, als die Mobile Hilfe noch ganz am Anfang stand, bat ihn ein Kollege darum, ihn bei einem Dienst zu vertreten. Nawka machte damals eine Krise durch, lebte in Trennung von seiner Frau und suchte nach einem neuen Lebensinhalt. „Da passte die Obdachlosenhilfe sehr gut.“ Seitdem ist er jeden Mittwoch dabei. „Ich könnte mir ein Leben ohne dieses Ehrenamt nicht mehr vorstellen, das macht einfach Spaß, und ich fühle auch eine moralische Verpflichtung zu helfen und meine Erfahrung an andere Ärzte weiterzugeben“, sagt der 54-Jährige, der an diesem Tag eine junge Kollegin dabeihat. Sie will künftig regelmäßig mitarbeiten.

Die Medizin der Mobilen Hilfe ist eine jenseits von Hightech, privaten Zusatzleistungen und Punktesystem. Sie ist nicht so strukturiert und berechenbar. Und genau das findet Nawka entspannend. „Ich muss nicht bei jedem Patienten darüber nachdenken, welche Ziffer ich abrechnen muss.“ Außerdem seien die Obdachlosen weniger anspruchsvoll und gleichzeitig sehr dankbar. „Das gibt es im Praxisalltag sonst wenig“, sagt der Vater dreier Kinder. Inzwischen hat er eine Doktorarbeit über die „Morbidität obdachloser Menschen in Hamburg“ geschrieben, hält Vorträge zum Thema und engagiert sich zudem als medizinischer Berater beim Hamburger Verein „steps for children“, der Kinderprojekte in Namibia durchführt.

Nawka ist im ostsächsischen Bautzen mit zehn Geschwistern aufgewachsen, gehörte dort zur slawischen Minderheit. „Teilen, Verantwortung übernehmen und Unterstützung der Schwächeren wurden mir in die Wiege gelegt“, sagt der Mediziner. Sein Engagement blieb nicht unbemerkt. Er wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.