Lange sah es so aus, als wenn Christina Urlass nie mehr eine feste Anstellung finden würde. Doch sie gab nicht auf

Die Tür zu ihrem Büro steht immer offen. Christina Urlass liebt es bei ihrer Arbeit als Sekretärin von Michel-Hauptpastor Alexander Röder, mitten im Geschehen zu sein. Neben ihrem Computer stapeln sich gut sortiert die Unterlagen, das Telefon klingelt häufig. Christina Urlass kümmert sich um alles, was den Hauptpastor betrifft, um Korrespondenz, Termine, Protokolle oder Koordinationsaufgaben, dazu betreut sie das Archiv der St.-Michaelis-Kirche. „Es ist viel zu tun, aber es wird nie langweilig, und ich mache es aus ganzem Herzen“ sagt sie und lächelt.

Die 50-Jährige steht voll im Berufsleben. Wieder. Denn es gab eine Zeit, da war sie von allem ausgeschlossen, und es schien so, als würde ihr der Anschluss an ein erfülltes Leben mit Arbeit nicht mehr gelingen. Nie hatte sie sich bis dahin Gedanken über ihren Status in der Gesellschaft gemacht, sie gehörte einfach dazu. Bis sie arbeitslos wurde.

Nach der Schule machte sie eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin. Danach arbeitete sie als Chefsekretärin in der Geschäftsleitung verschiedener Unternehmen im Bereich Umwelttechnologie. „Fast 20 Jahre lang war ich in der Branche, es gab auch schon mal Firmenwechsel, aber die Unterbrechungen bis zu einer neuen Anstellung waren nie lang“, sagt sie. 2006 verlor sie erneut ihren Arbeitsplatz. „Das Unternehmen, in dem ich angestellt war, musste sich verkleinern“. Christina Urlass, selbstbewusst und aufgeschlossen für Neues, machte sich zunächst keine Sorgen, „bis dahin hatte ich ja immer etwas gefunden“. Doch als sie sich an die Agentur für Arbeit wandte, folgte der erste Dämpfer: „Sie sind ja über 40, sie sind nicht mehr vermittelbar“, sagte ihr die Angestellte von der Arbeitsagentur. Christina Urlass war im ersten Moment schockiert, ließ sich jedoch nicht entmutigen und schrieb emsig Bewerbungen an Firmen in Hamburg und Umgebung. Es kam auch zu ein paar Vorstellungsgesprächen. Aber zu keiner Zusage.

Nach einem Jahr und etwa 300 Bewerbungen kam das, was sie unbedingt vermeiden wollte. Sie musste Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, beantragen. „Den Hartz-IV-Antrag auszufüllen war ein äußerst demütigendes Gefühl“, erinnert sie sich. Bis dahin war sie niemandem Rechenschaft schuldig gewesen, nun wollten Fremde alles von ihr wissen, bis auf den letzten Cent. „Zum Glück musste ich nicht umziehen.“ Ihre Miete lag knapp unter dem erlaubten Satz für die Kaltmiete. Zuzüglich zur Miete erhielt sie die Grundsicherung von damals 345 Euro. Das musste für alle Ausgaben reichen, von den Stromkosten bis zu Nahrungsmitteln. Um mit dem Geld auszukommen, legte sie für sich einen Tagessatz von fünf Euro fest.

Was während ihres Arbeitslebens für sie selbstverständlich war, ging nun nicht mehr: mit Freunden essen gehen oder sich an einem Geburtstagsgeschenk beteiligen, neue Kleidung kaufen oder eine Kurzreise antreten. „Ein einziges Mal bin ich ins Kino gegangen", sagt sie. Ein einmaliger Luxus innerhalb von zwei Jahren.

Schlimmer noch als die finanzielle Knappheit war für sie eine fehlende Aufgabe. Wie zentral die Arbeit in ihrem Leben gewesen war, wurde ihr vor allem bei Gesprächen im Freundeskreis bewusst. „Es gab ein Vakuum. Alle sprachen über ihren Arbeitsalltag, da konnte ich nicht mehr mitreden“, sagt sie. Und die gut gemeinten Nachfragen, ob sie etwas Neues in Aussicht habe, waren ihr unangenehm. Der optimistischen Frau kamen immer mehr Selbstzweifel: „Irgendwann hatte ich das Gefühl, das wird nichts mehr, du bist nicht gut genug.“

Zudem belastete sie das negative Bild, das in der Öffentlichkeit über Arbeitslose kursierte. „Wenn ich beim Museumsbesuch den Hartz-IV-Ausweis an der Kasse vorlegte, schauten die Mitarbeiter, als wollten sie sagen: Warum geht die denn nicht arbeiten?“

Doch es gab auch Menschen, die sie nicht fallen ließen. „Die Unterstützung und die Liebe, die mir von meinen Angehörigen und meinen Freunden entgegengebracht wurden, halfen mir, nicht in Traurigkeit zu versinken.“

2008 bekam sie einen Ein-Euro-Job im „Dialog im Dunkeln“. Für zehn Monate. Dann suchte sie eine neue Aufgabe und landete als Ein-Euro-Jobberin im Michel-Archiv. Ein Glücksfall. Die Aufgabe: alte Baupläne, die für die damalige Sanierung des Michel-Turms benötigt wurden, in den Computer einzugeben. „Das war total spannend“, sagt sie. Ihr Fleiß zahlte sich aus. 2009 wurde sie für das Archiv fest angestellt. 2010 übernahm sie die Vollzeitstelle als Sekretärin des Hauptpastors. Für das Archiv ist sie weiter zuständig.

Rückblickend sagt Christina Urlass: „Die Phase der Arbeitslosigkeit war schwer, aber sie brachte auch eine neue Chance. Ohne sie wäre ich niemals beim Michel gelandet.“ Für die gebürtige Hamburgerin ist es ein Traumjob.