Gustav Frielinghaus leitet das „Festliche Weihnachtskonzert“ als Dirigent und Solist

Den Typus Konzertmeister stellt man sich landläufig anders vor. Körperlich präsenter, womöglich auch dominanter. Gustav Frielinghaus hat so gar nichts von einem Alphatier. Aber wenn der schmale, zurückhaltende Mittdreißiger mit dem Viertagebart und dem stahlblauen Blick die Geige in die Hand nimmt, wird sehr schnell klar, wo sich seine Energien bündeln: Beimmusikalischen Ausdruck erlegt er sich keine Grenzen auf – ob er gerade Bartók krachen und splittern lässt oder ein Menuett von Haydn zum Abheben bringt.

Zu erleben ist das für das Hamburger Publikum nicht nur bei den Konzerten, die Frielinghaus mit seinem vielfach preisgekrönten Amaryllis Quartett im Kleinen Saal der Laeiszhalle gibt, sondern sechsmal im Jahr auch bei der Hamburger Camerata. Beim „Festlichen Weihnachtskonzert“ Anfang Dezember sitzt Frielinghaus nicht nur am ersten Geigenpult, sondern übernimmt auch ganz offiziell die musikalische Leitung, also mehr noch, als das ein Konzertmeister ohnehin zu tun pflegt, indem er dem Dirigenten etwa in streicherspezifischen Fragen sekundiert oder ihm Anregungen souffliert.

Vor vier Jahren ist Frielinghaus der langjährigen Konzertmeisterin Meike Thiessen, die das Ensemble 1986 gegründet und seither wesentlich geprägt hatte, auf den Posten nachgefolgt. Die Initiative zu dieser Zäsur ging von Thiessen selbst aus. „Sie wusste, dass eine Verjüngung notwendig war, wenn die Camerata fortbestehen wollte“, sagt Frielinghaus. Keine ganz risikolose Operation für eine so verschworene Gruppe. Natürlich haben die Beteiligten in einigen Arbeitsphasen getestet, wie das so lief mit der Chemie. Dass der Wechsel geglückt ist, kann man hören, wann immer Frielinghaus am Pult sitzt. „Es ist für mich eine ganz einfache und wunderbare Arbeit“, sagt er, „weil ich auf Händen getragen werde. Mit einigen aus dem Orchester bin ich mittlerweile auch privat befreundet.“

Das Programm für den 8. Dezember spielt charmant mit den üblichen Zutaten eines Weihnachtskonzerts und einigen würzenden Beigaben von Frielinghaus. Bach gehört immer dazu, klar. Aber diesmal gibt es keine Engelstrompeten, sondern die Streicher bleiben fast völlig unter sich. Den Konzertnachmittag eröffnet das 3. Brandenburgische Konzert, dessen zahlreiche Solostimmen so schön virtuos funkeln. Zusammen mit Tjadina Würdinger übernimmt Frielinghaus die Solopartien im Doppelkonzert für Oboe und Violine BWV 1060. „Das habe ich mir gewünscht“, sagt Frielinghaus. „Ich habe selbst ein paar Jahre Oboe gespielt und finde, Tjadina hat einen wunderschönen Ton.“

Vom anrührenden musikalischen Zwiegespräch der beiden Solisten im langsamen Satz ist es gar kein so großer Schritt zur Romantik, könnte man meinen. Frielinghaus spielt eine Romanze für Violine und Streichorchester von Johan Svendsen, und dazu, als Brückenschlag zwischen den Epochen, erklingt die berühmte „Holberg-Suite“ von Grieg: hochromantischer, nordisch–melancholischer Schmelz in der augenzwinkernden Form einer barocken Suite. Wer sie einmal gehört hat, bekommt ihre Kantilenen so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Und den geistreichen, hochvirtuosen Schluss macht das Cellokonzert C-Dur von Joseph Haydn, gleichsam der kleine Bruder des berühmt-berüchtigten D-Dur-Konzerts, das es aber auch in sich hat. Die Solistin ist die hochdekorierte, gerade mal 24-jährige Janina Ruh, die ein Guarneri-Cello aus dem Instrumentenfonds der Deutschen Stiftung Musikleben spielt. Mit dieser Kooperation knüpft die Camerata an ihre jahrelange Zusammenarbeit mit der Stiftung an, eine echte Win-win- Situation: Das Ensemble kann erstklassige Solisten präsentieren, und die hochbegabten jungen Musiker können vor Publikum spielen. Das ist selbst in dieser Preisklasse gar nicht so leicht zu erreichen.

Vom mühsamen Klettern auf den Stufen einer Musikerkarriere könnte Frielinghaus manche Etüde singen. 2000 hat er das Amaryllis Quartett gegründet. Aber es brauchte sechs Jahre und mehrere Umbesetzungen, bis alle das Gefühl hatten, dass diese „Ehe zu viert“, wie das Streichquartett manchmal bezeichnet wird, Bestand haben könnte. Inzwischen ernten die Musiker die Früchte ihrer Arbeit; 2012 haben sie nicht nur bei bedeutenden Wettbewerben ihrer Zunft geglänzt, sondern auch noch einen Echo Klassik eingeheimst.

Mehrmals in der Woche reist Frielinghaus von Stuttgart, wo er wohnt, zum Proben nach Köln und Hamburg. 70 Konzerte gibt er mit dem Quartett im Jahr, außerdem tourt er im Winter in wechselnden Besetzungen mit dem Frielinghaus Ensemble. Dass er die Arbeit mit der Camerata in diesem straffen Zeitplan trotzdem hohe Priorität hat, spricht für sein Engagement.

Und für seine Liebe zu Hamburg. Frielinghaus ist in Eppendorf aufgewachsen, im Albert-Schweitzer-Jugendorchester hat er sich seine Sporen verdient und die ersten Jahre bei Wilfried Rüssmann an der Hamburger Musikhochschule studiert. Ohne Geige kann man ihn sich nur schwer vorstellen. Er sich wahrscheinlich selber auch nicht. Angefangen hat er schon mit fünf Jahren, seine erste Lehrerin war übrigens eine gewisse Meike Thiessen. Jahrzehnte später holte sie ihn in ihr Ensemble. So schließt sich ein Kreis.

„Festliches Weihnachtskonzert“ 8.12., 15.00, Laeiszhalle. Karten zu 23,- bis 31,- unter T. 453326