Warum die Chefredaktion des Hamburger Abendblatts auf Nierentische und alte Schallplatten steht – und wie ihre Büros untervermietet werden

Wer zum ersten Mal die Redaktion des Hamburger Abendblatts im siebten Stock des Verlagsgebäudes zwischen Caffamacherreihe und Kaiser-Wilhelm-Straße besucht, staunt über ein kleines Hinweisschild: „Lounge“ steht darauf, ein Pfeil weist nach rechts. Durch eine schwere Tür und an unterschiedlich großen Büros mit Glaswänden entlang geht es bis zu einem Raum, der weder zu den anderen noch überhaupt in die Zeit zu passen scheint: Rote Sitzsäcke liegen hier auf dem flauschigen, braunen Teppich, um einen Nierentisch stehen alte Stühle und eine kleine Coach. Die Kommode schräg gegenüber stammt wie alles im Zimmer aus den 60er- oder 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Eine Schallplatte mit Schlagern läuft gerade, irgendwas von Udo Jürgens. Und ist das in der Ecke nicht eine Spielekonsole von Atari?

Willkommen in der Chefredaktion des Hamburger Abendblatts! Tatsächlich liegt die „Lounge“, wie das vor wenigen Monaten eingerichtete Zimmer ob seines lauschigen Charakters genannt wird, mittendrin im sogenannten Chefredakteursflügel. Bis zum Sommer hatte hier Karl-Günther Barth, langjähriger stellvertretender Chefredakteur mit dem vielversprechenden Kürzel KGB, sein Büro.

Inzwischen ist der Raum der wichtigste Treffpunkt für Konferenzen und Besprechungen aller Art – und der Chefredaktionsflügel damit ein Bereich, der endlich von allen genutzt wird, beziehungsweise genutzt werden kann. Denn genau das war das Ziel: den langen, etwas eintönigen Flur aufzubrechen, und die Chefredaktion noch stärker zu dem zu machen, was sie sein soll. Ein Teil der großen Hamburger-Abendblatt-Redaktion, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Um das zu betonen, kann auch jeder andere Redakteur die gläsernen Einzelbüros nutzen, ganz gleich, wo er nun im Impressum steht. Ein kleines Schild mit einem Smiley (ein lachendes Gesicht) an der Tür zeigt, ob der entsprechende Raum heute frei oder besetzt ist.

Und die Büros der Chefredaktion sind sehr oft frei – denn der eigentliche Arbeitsplatz derjenigen, die hier beheimatet sind, ist im Newsroom, der großen Zentrale des Hamburger Abendblatts. Dort sitzen abwechselnd Matthias Iken, Stephan Steinlein, Berndt Röttger oder Lars Haider, um die aktuelle Ausgabe zu planen, zu verantworten und um zu entscheiden, welche Themen ins Blatt kommen und wie die Texte auf die unterschiedlichen Plattformen verteilt werden.

Die Chefredaktion, zu der auch Hans-Joachim Nöh, Jörn Lauterbach und Mark Hübner-Weinhold gehören, scheint auf den ersten Blick gut besetzt zu sein. Tatsächlich haben die meisten Mitglieder mindestens einen weiteren Job. Stephan Steinlein ist gleichzeitig Leiter der Hamburg-Redaktion und damit des größten Ressorts.

Berndt Röttger ist nicht nur für die eher überregionalen Nachrichten-Ressorts (von Seite1 über Meinung, Politik, Thema, Wissen und Aus aller Welt) zuständig, sondern auch für alle Sonderprojekte verantwortlich, zum Beispiel auch für diese Geburtstagsausgabe, die große Stadtteilserie und für das Straßenprojekt 2012. Im vergangenen Jahr hatte das Hamburger Abendblatt alle 8100 Straßen der Stadt getestet, bewertet und katalogisiert – eine Mammutaufgabe. Hans-Joachim Nöh plant und produziert das Magazin am Sonnabend, ist Textchef und leitet das Korrektorat.

Jörn Lauterbach ist für die Produktion aller Seiten zuständig, die das Hamburger Abendblatt für die Zeitungen „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ und „Welt kompakt“ produziert – das sind jede Woche zwischen 60 und 80. Mark Hübner-Weinhold schließlich führt die Geschäfte der Redaktion: Er wacht über die Einhaltung der Etats, kümmert sich um Personalangelegenheiten und organisierte in diesem Jahr zum ersten Mal die sogenannten Teamtage. 30 Führungskräfte des Hamburger Abendblatts gingen in Bad Segeberg drei Tage lang in Klausur, um darüber zu sprechen, wie man die Zeitung für die Leser noch besser machen kann.

Es bleiben Chefredakteur Lars Haider und sein offizieller Stellvertreter Matthias Iken, die sich unter anderem ein spannendes Duell um die Zahl der geschriebenen Leitartikel liefern – und dabei durchaus einmal unterschiedlicher Meinung sind. Beide schreiben gern und viel, haben letztendlich aber nichts zu sagen.

Denn zusammengehalten wird die Chefredaktion von drei Frauen. Angelika Westphal und Sibylle Schomaker leiten quasi den kompletten Flügel, sind der Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Redaktion. Und werden selbst dann nicht unruhig, wenn Lars Haider auch das vierte Aufladegerät für sein leicht veraltetes Handy verloren, verlegt oder schlicht einmal wieder zu Hause vergessen hat. „Die beiden sind das Beste, was uns passieren konnte“, sagt Haider.

Das gilt auch für Karina Dieckmann. Sie sorgt zusammen mit Mark Hübner-Weinhold unter anderem dafür, dass dem Hamburger Abendblatt nicht Dienstleistungen berechnet werden, die die Redaktion gar nicht in Anspruch genommen hat. Was dabei an Falschbuchungen gefunden wird, würde locker reichen, um den Rest des Chefredaktionsflügels im schrillen Stil der 60er- und 70er-Jahre umzubauen – was aktuell allerdings nicht geplant ist.

Und der Höhepunkt ist die „Lounge“ im Übrigen auch nicht. Größter Blickfang im Chefredakteursflügel ist und bleibt die von kleinen Deckenlichtern angestrahlte Bilder-Galerie. Auf dem Weg zum kleinen Konferenzraum an der Spitze hängen nebeneinander die Öl-Gemälde der bisherigen acht Chefredakteure des Hamburger Abendblatts und erinnern mit strengem Blick jeden, der hier langgeht, daran, welche Verantwortung und Tradition er übernommen hat – und dass er im besten Fall eines Tages auch einmal hier hängen wird …