Arvo Pärt verbindet Transzendenz und moderne Klassik wie kein Zweiter

Bei einem thematischen Schwerpunkt Baltikum darf der große Komponist Arvo Pärt nicht fehlen. Seine Kompositionen „Fratres I“, „Fratres II“ und „Fratres III“, entstanden zwischen 1977 und 1980, zählen wohl zu den meisteingesetzten Musiken in Verfilmungen und Tanzaufführungen. Sie sind mit ihrem mystisch-dramatischen Impetus geeignet, eine metaphysische Dimension zu transportieren und zwischenmenschliche Wendepunkte emotional aufzuladen. Dabei zählen die „Fratres“ zu dem eher von Musikern wie Schostakowitsch und Bartók inspirierten neoklassischen Frühwerk Pärts.

Heute ist die Wirkungsmacht des Komponisten unbestritten. Auch wenn er von Nörglern als Schöpfer von Wellnessklängen abgetan wird. An der Frage, ob der Mix aus Gregorianik und Romantik nun Kitsch oder Schönklang in Perfektion ist, scheiden sich die Geister. Es muss eine Magie darin stecken.

Die Musikkarriere war Arvo Pärt, der am 11. September 1935 im estnischen Paide als Sohn eines Kraftfahrers geboren wurde, nicht in die Wiege gelegt. Im Alter von sieben Jahren, begann er, sich mit Musik zu beschäftigen, mit 14 Jahren kreierte er erste Kompositionen. 1954 nahm er ein Musikstudium auf. Zwischen 1958 und 1963 erweiterte es um Komposition. Im Anschluss an seine neoklassische Phase experimentierte Arvo Pärt mit moderner Zwölftonmusik nach Schönberg und erarbeitete zwei serielle Symphonien und Kammermusiken.

Sein musikalischer Kosmos erweiterte sich um eine spirituelle Dimension. Pärt, lutherisch getauft, konvertierte Anfang der 1970er-Jahre zum russisch-orthodoxen Glauben. Das Archaische zog ihn an. Die Kulturfunktionäre störten sich an der Form und dem religiösen Impetus. Die Komposition „Nekrolog“, die bis heute als estnische Pionierleistung der Zwölftontechnik gilt, erfuhr 1960 sogar eine offizielle Missbilligung und galt als „dekadent“.

Arvo Pärt fand für sich zunächst einen Ausweg, indem er ab 1962 als Student am Moskauer Konservatorium in Collage-Technik vorgefertigte Klänge zerlegte und neu etwa 1968 in „Credo“ zusammensetzte. Kurz darauf verstummte er. Erneut hatte er sich beim offiziellen sowjetischen Musikbetrieb unbeliebt gemacht. In der langen schöpferischen Pause zwischen 1968 und 1976, den „Jahren der Stille“, beschäftigte sich Pärt mit Gregorianik und östlicher Kirchenmusik und entwickelte im Selbststudium die Expressivität, für die er heute berühmt ist.

1980 sah er sich endgültig genötigt, das Land zu verlassen. Gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Söhnen zog er zunächst nach Österreich, 1981 nach Berlin-Lankwitz. Heute hält er sich wieder gelegentlich in seinem estnischen Landhaus auf. Die Zeit des Exils brachte mit den ECM-Veröffentlichungen „Tabula Rasa“ (1977), „Fratres“ (1977) und „Cantus in Memory of Benjamin Britten“ (1977) Mitte der 1980er-Jahre den Durchbruch im Westen. Inhaltlich mündete die Zeit des Schweigens in jene der läutenden Glöckchen. Arvo Pärt gilt seit der Komposition seines Klavierstücks „Für Alina“ (1976) als Begründer des „Tintinnabuli-Stils“. Dreiklänge im Hintergrund verleihen dem Sound oft eine fast tranceartige Gleichförmigkeit. Ihre eigentümliche Dringlichkeit bezieht Pärts Musik aus homofonen Chorsätzen und machtvollen Streicherklängen.

Zahlreiche Chorwerke und Kompositionen entstanden auf Basis religiöser Themen. Seit sich Pärt auf den Berg Sinai zurückzog, um „Litany: Prayers of St. John Chrysostom“ zu schreiben, das am 26. Juni 1994 in Eugene/USA zur Uraufführung gelangte, wird er als „komponierender Mönch“ verklärt. Heute zählt der vielfach geehrte Arvo Pärt zu den beliebtesten zeitgenössischen Komponisten. In den vergangenen Jahren bezog er Stellung gegen das Regime Putins. Nach der Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja am 7. Oktober 2006 widmete er ihr alle Konzerte der Jahre 2006/2007, die Uraufführung seiner 4. Sinfonie in Los Angeles im Januar 2009 wiederum dem inhaftierten Philanthropen Michail Chodorkowski.