Harry Callahan in einer Retrospektive zum 100.

Der amerikanische Fotograf Harry Callahan (1912-1999) setzte sich in seinem Werk intensiv mit dem Prozess fotografischen Sehens auseinander. Unermüdlich fahndete er nach neuen, frischen Impulsen, um seine Empfindungen mithilfe der Kamera auszudrücken. Dabei experimentierte er mit Mittelformat und Kleinbild, setzte sich nicht nur mit der schwarz-weißen, sondern zunehmend auch mit der Farbfotografie auseinander. Seine Entwicklung zeitigte in jeder Phase originelle Ergebnisse.

Im Haus der Photographie in den Deichtorhallen ist ab dem 22. März zum 100. Geburtstag des Lichtbildkünstlers eine Retrospektive zu sehen, die anhand von rund 280 Arbeiten das facettenreiche, in sechs Jahrzehnten entstandene Werk beleuchtet. Die Ausstellung basiert auf dem großen Bestand von Callahans Arbeiten, die F.C. Gundlach seit den 70er-Jahren zusammengetragen hat. 1979 kam es zu einer direkten Zusammenarbeit zwischen Callahan und Gundlach, dessen Hamburger Firma Creative Color sich unter anderem auf die Herstellung von Abzügen im Dye-Transfer-Verfahren spezialisiert hatte. Hier fand der Künstler die geeignete Ausdrucksform. Die farbigen Arbeiten werden neben den schwarz-weißen Silbergelatineabzügen in der Schau gezeigt.

Callahan begann seinen Werdegang als Amateur. Mit 26 Jahren trat er fotografischen Vereinigungen bei, wo er zunächst Orientierung fand. Inhaltlich wurde er jedoch schnell enttäuscht: In den Clubs hielt man streng an der Tradition des Piktorialismus fest, der stark stilisierte, wie gemalt wirkende Bilder hervorbrachte. Callahan suchte nach etwas Neuem und freundete sich mit Arthur Siegel an, der am New Bauhaus in Chicago bei László Moholy-Nagy gelernt hatte. Siegel brachte ihm die Ästhetik des am Bauhaus entwickelten Neuen Sehens nah, die in Amerika New Vision hieß und durch exzentrische Kompositionen und Mehrfachbelichtungen gekennzeichnet war. Zudem lernte Callahan Ansel Adams kennen, der die Straight Photography vertrat - eine präzise, unmanipulierte Bildherstellung.

Im Angesicht des Neuen begann sich Callahan selbst als Künstler zu definieren. "Das feste Vertrauen darauf, mittels der einsamen Tätigkeit des Fotografierens im Dialog mit sich selbst etwas Bedeutendes aus seiner inneren Gefühlswelt zu extrahieren, es sichtbar und artikulierbar machen zu können, bildete den Antrieb zu tief greifender persönlicher Neuorientierung", sagt Sabine Schnakenberg, Kuratorin der Sammlung F. C. Gundlach im Haus der Photographie. Thematisch wandte sich Callahan der Natur- und Landschaftsdarstellung zu und schuf außerdem Stadtansichten.

Durch Doppelbelichtungen und in Serien hielt Callahan mit Vorliebe Bewegungen im Bild fest. Außerdem beschäftigte er sich mit dem Faktor Zeit in der Fotografie. Für die Arbeit "Sunlight on Water" (1943) belichtete er eine sich leicht bewegende, von Lichtreflexen überzogene Wasserfläche bis zu einer Sekunde lang. "Der fotografische Apparat kann unser optisches Instrument, das Auge, vervollkommnen, bzw. ergänzen", schrieb Moholy-Nagy. In Callahan lebte das "Verlangen nach experimenteller Erweiterung seiner fotografischen Ausdrucksmöglichkeiten", erklärt Schnakenberg. Optische Experimente dienten dazu, die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erweitern.

Seine Stadtaufnahmen, Spiegelungen in Schaufenstern mit sich überlagernden Ebenen oder auch die Häuserfassaden der Großstadt zeigen sein Interesse für die Grenze zwischen innen und außen, Privatheit und Öffentlichkeit. Die Bilder von anonymen, vorbeieilenden Passanten stehen den intensiven Bildnissen seiner Familie gegenüber. So fotografierte er seine Frau Eleanor 1951 in Chicago im Atelier seines Freundes Hugo Weber. Die Frau ist im Zentrum des Bildes als Rückenakt zu sehen, vor ihr stehen eine leere Staffelei und ein großes, abstraktes Gemälde, dessen bläulich-violette Farben auch auf Eleanors Haut schimmern.

Ein anderes Bild zeigt die Frau in der Rückenansicht, am Fenster im Gegenlicht, ihre kleine Tochter an der Hand. Beide wirken verletzlich und zugleich geborgen. Der Fotograf, der als Beobachter außerhalb dieser innigen Beziehung steht, verbildlicht zugleich sein ganz privates Innenleben. Nähe und Distanz zur Außenwelt kennzeichnen auch die Landschaftsbilder Callahans. Nahaufnahmen aus extremen Perspektiven stehen neben Weitwinkelansichten etwa der Küste von Cape Cod.

"Harry Callahan. Retrospektive" 22.3. bis 9.6., Haus der Photographie/Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00, Katalog 49,90 Euro