Experiment und Wagnis mit dem Andromeda Mega Express Orchestra aus Berlin

Man kann mit einem klassischen Orchester dem gängigen Klassik-Kanon folgen und möglichst originell interpretieren. Oder man klaubt sehr postmodern Versatzstücke aus unterschiedlichen Genres auf und amalgamiert sie zu einem verführerischen Hybrid.

Eines der bundesweit schillerndsten Konzepte vertritt das Andromeda Mega Express Orchestra (AMEO) aus Berlin. Stammgast auf Jazz-Festivals, häufiger Kompagnon der oberbayerischen Intellektuellen-Experimentalband The Notwist, mit der das AMEO auch schon in Hamburg gastierte, ebnet die 18-köpfige Combo die Gräben zwischen U und E spielfreudig ein.

Das letzte Album "Bum Bum" wies das Orchester erneut als unerschrockenen Grenzgänger zwischen musikalischen Haltungen und Idiomen aus. Enthielt das Debüt "Take Off!" 2009 noch Klang gewordene Anspielungen an Teilchenphysik, berstende Vulkane und Asteroide, eine beabsichtigte "Musik von einem anderen Stern", so sorge die Band unter ihrem Ensembleleiter Daniel Glatzel auf "Bum Bum" erneut für Überraschungen. Hinter Fantasietiteln wie "Hektra Mumma Gulla" oder "Anebulamanifesto" verbarg sich ein Konglomerat aus Filmmusik, Minimal, Weltmusik und Jazz. Aus Sun Ra, Duke Ellington und Anton Webern. Man darf gespannt sein, was diese Wahnsinnstruppe am 14. März zu Gehör bringt, wenn sie unter dem wenig bescheidenen Titel: "Apocalypse Wow!" live ihr neues Album einspielt.

Das Orchester stützt sich auf erstklassige Instrumentalisten, die von Avantgarde bis Rock überall zu Hause sind. Den Hip-Hop des Openers "Saturn Hoola Hoop" versüßt ein hippiehafter Flötenpart. Ein krautrockartiges Brausen folgt. Trompeten schlagen eine Schneise durch die Synkopen über einem fetten Bass. Ab da wird es endgültig wirr. Hier ertönt ein Neo-Tango-Loop, dort ein Glockenspiel, ein paar Blockflöten, eine atonale Phrase, dann wieder engelsgleicher Geigenklang.

Ein Fokus ist in der Melodie nicht erkennbar. Das AMEO liefert keine Musik, zu der man arbeiten kann, dazu ist sie viel zu vertrackt, sprunghaft und nervös. Sie strömt durch einen hindurch, verlangt, dass man sich auf sie einlässt. Genau darin liegt gleichzeitig der Reiz dieser Musik. Jede sich anbahnende Eindeutigkeit wird sogleich durchkreuzt, etwa durch eine dissonante Harfe. Alles kann hier Soundfragment werden. Melodie, Rhythmus oder auch nur Geräusch.

Ausgedacht hat sich das alles der oberste der versammelten Individualisten, Daniel Glatzel. Der 28-jährige Saxofonist aus dem bayerischen Obermenzing hat 2006 diesen einzigartigen Klangkörper geformt, der sich einen Trommler, nämlich Andi Haberl, mit der Band The Notwist teilt. Im Titel "Rainbow Warrior" hat Glatzel erstmals auch einen Gesangspart geschrieben und in einen Mix aus Sixties Soul, Filmscore und Easy Listening eingebettet. Die Entstehung des Tracks erklärt er so: Der Titel enthalte unheimlich viel "Schmarrn", gleiche einer Spiegelung des aktuellen Fernsehprogramms. Er nennt es einen "skandalösen Popsong". Für Glatzel funktioniert seine Musik nach dem Matrioschka-Prinzip. Wie die berühmten russischen Puppenfiguren, bei denen die größere die kleineren umfasst, wechselt seine Musik ständig den Kontext. Beim Hörer kommen unterschiedliche Assoziationen an. Das kann auch mal ein Telefon, ein Schallplattenspieler oder ein Radio sein. Und mittendrin ertönt Wind oder Regen.

Die Stücke entstehen zunächst sehr eremitisch. Danach kommt das Ausprobieren mit unterschiedlichen Stimmen, bei dem jeder auch seine persönliche Phrasierung einbringt. Dabei fasziniert ihn ganz offensichtlich die Synästhetik, die etwa Filmmusik ausmacht. "Ich hatte nie vor, ein Orchester zu gründen", sagt Glatzel. Die Musiker stammen aus allen Himmelsrichtungen, aus Berlin, Flensburg, Augsburg und sogar der Schweiz. Bei den Live-Auftritten der Band spielt Glatzel Tenorsaxofon und Klarinette, dirigiert von einer Art Kommandobrücke aus und gibt mit Vorliebe den Ansage-Kabarettisten.

Für Puristen spielt das AMEO alles, nur auf keinen Fall Jazz. Das Disparate jenseits aller Formsprachen und Konventionen ist Programm. Vielleicht lässt es am ehesten Vergleiche mit Frank Zappa zu, der auch immer eine gewisse Anbindung an die Kanonik der amerikanischen Musikgeschichte gesucht hat. "Wenn wir nur feinfühlig genug rangehen", sagt Glatzel, "können wir in ungeahnte Gebiete vordringen." Bis in die Apokalypse.

"Apocalypse Wow!" 14.3., 20.00, Rolf-Liebermann-Studio. Karten zu 19,10 unter T. 0180/178 79 80 oder www.ndrticketshop.de