Die Kunsthalle entdeckt den in Rom wirkenden Landschaftsmaler Johann Christian Reinhart neu

Johann Christian Reinhart war eine imposante Figur. Ein stattlicher, auffällig kräftiger Mann mit markanten Gesichtszügen. Ein Maler zwar unter etlichen in der deutschen Künstlerkolonie im Rom gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aber einer, der während seiner fast 60 Jahre in Rom lange Zeit in ihrem Mittelpunkt stand. Reinhart zog die Gesellschaft an und suchte sie zugleich. Selbstsicher und mit Witz trat er auf und stand mit namhaften Größen seiner Zeit in reger Korrespondenz. Freundschaftliche Bande knüpfte er mit Friedrich Schiller, den er einmal rücklings auf einem Esel sitzend konterfeite. Mit ihm wie auch dem Kunsttheoretiker Carl Ludwig Fernow pflegte er einen intensiven Austausch über die Kunst der Landschaft.

Gleiches galt für seinen Kollegen und Hausmitbewohner in Rom, den österreichischen Maler Joseph Anton Koch. Gemeinsam forcierten sie die Wiederbelebung der heroischen Ideallandschaft. Und mit Koch zusammen erforschte der leidenschaftliche Jäger Reinhart die Umgebung Roms. Bis zu seinem Tod anno 1847 war der Wahlrömer Reinhart aber vor allem eines: Landschaftsmaler und -zeichner. Zum ersten Mal würdigt jetzt ein Museum den in Vergessenheit geratenen Künstler, der oft im Schatten der Romantiker und ihm nachfolgender Künstlergenerationen in Rom stand. Mit der Ausstellung "Johann Christian Reinhart - Ein deutscher Landschaftsmaler in Rom" präsentiert ihn die Kunsthalle jetzt mit der ersten chronologisch und thematisch unterteilten Retrospektive.

Kurator Dr. Andreas Stolzenburg, seit mehr als einem Jahrzehnt auf der Suche nach Vergessenem, Verborgenen und Unentdeckten, gelang es, drei Viertel der heute gesicherten Reinhart-Gemälde zusammenzutragen. Mehr als 30 von rund 40 aus einem Oeeuvre, das vermutlich einmal 100 Gemälde umfasste. Er konnte Neuzuschreibungen leisten, entdeckte ein bislang unbekanntes Skizzenbuch. Rekonstruktionen von Motiven und Bildvorlagen, sogar Neuentdeckungen gelangen. So umfasst die erste Retrospektive jetzt mehr als 200 Exponate, darunter Radierungen, Zeichnungen und Aquarelle. Sie kommen aus eigenem Bestand, aus der Albertina in Wien und weiteren Sammlungen.

1761 in Hof a. d. Saale geboren, durchlief Reinhart seine Ausbildung als Künstler in Leipzig und Dresden. Anschließend wirkte er für einige Jahre in Meiningen am Hofe Herzog Georgs I. von Sachsen-Meiningen, bevor er im Revolutionsjahr 1789 für immer nach Rom ging. Geprägt waren seine frühen Jahre unter anderem vom Einfluss seines Lehrers Adam Friedrich Oeser, hier vor allem durch den damals populären Hollandismus, ein Rückgriff auf die beliebte niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Ihren Niederschlag findet sie bei Reinhart in Mühlen-Motiven oder Kopien bekannter Niederländer.

In seiner Frühzeit keimt bereits ein verstärktes Interesse für Naturdarstellungen auf. Ausflüge und Erkundungstouren führen ihn in die Landschaft, zu Sehenswürdigkeiten und beliebten Orten. Vor Ort fertigt er ausführliche Skizzen, etwa von der Burg Giebichenstein bei Halle an, um das Ruinen-Motiv später in der Werkstatt als durchgearbeitetes und stimmungsvolles Aquarell mit Wolkenlandschaft auszuführen. Topografisch sind diese wie viele andere von Reinharts Ansichten - darunter seine faszinierenden Rheinaquarelle - äußerst akkurat ausgeführt.

Lange bevor die Freilichtmalerei im 19. Jahrhundert ihren Siegeszug antritt, führt Reinhart sogar Ölskizzen in der freien Natur aus, deren Zuschreibung aber nur selten gelingt. Dank einer rückseitigen Schrift konnte jetzt eine von ihnen - die Ansicht des Klosters St. Johann in Böhmen - eindeutig zugeschrieben werden. In Rom angekommen, setzt Reinhart fort, was er in Deutschland begonnen hat. Mit Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen bedient der Künstler, der sich selbst als "Maler-Radierer" bezeichnet, überwiegend den freien Markt. Ansichten Roms und Tivolis, Ruinen der Antike, reizvolle Landschaftsmotive wie Wasserfälle sind begehrte Bilder seiner Klientel.

Rom ist auch der Ort, an dem sich Reinhart erstmals an Gemälde wagt. Eine Zeit verzehrende und intensive Arbeit, die er neben den Radierungen für seine idealtypischen Landschaften nutzt. Angeregt durch Vorbilder wie Nicolas Poussin, vor allem aber Gaspard Dughet, fertigt Reinhart Kompositionen aus "künstlichen" Naturszenerien - unterschiedlichste Bäume wachsen zu Biotopen zusammen, wie sie in der freien Natur nie vorkommen. Sie liefern die überwältigende Kulisse für arkadische Motive, mythologische Figuren oder pastorale Szenerien.

Die heroische Ideallandschaft diente vor allem der Thematisierung geistiger Werte durch und in der Natur, dem Freiheitsideal etwa in Form erhabener Berglandschaften. Aber Reinhart konnte auch anders. Ein Raum der Ausstellung zeigt ihn als Maler und Zeichner einer nun fast schon entheroisierten Natur, "charakteristische, nach der Natur gemalte oder in schwarzer Kreide ausgeführte Studien von Gewächsen, Ruinen und Felsen", wie Reinhart einmal selbst schreibt. Plastisch herausgearbeitete Fels- und Steinstudien, Bäume oder die "Waldpartie in der Villa Borghese mit Steineichen" (1793), die von allem mythologischen Beiwerk bereinigt ist, zeigen ihn als Naturalisten. Fast schon ein Vorgriff auf spätere Künstlergenerationen, deren Blick auf die Natur selbst gerichtet ist.

Hierzu zählen zudem Tierstudien, mit denen sich der passionierte Jäger Ochsen, Ziegen, Hunden, Eseln und Maultieren widmete. Der Künstler nutzte jede Gelegenheit, selbst eine unfreiwillige Reiseunterbrechung, zum Zwecke intensiven Viehstudiums. "Reinhart kroch indes", berichtet eine Mitreisende, "bei Rindern und Schafen umher und zeichnete." Mitten im heiteren, von vibrierender Sommerluft erfüllten Rom taucht dann urplötzlich ein nordischer Geist auf. Den südlich geprägten Bildern Reinharts verleiht er eine fast schon surrealistische Note. In diesen Landschaften vermutet man eher den Schimmelreiter als das mythologische Personal der griechischen Antike. Hier treffen wir unter anderem auf die nordische Figur des Ossian, zwar eine Erfindung und Erdichtung des 18. Jahrhundert, doch bei seiner "Entdeckung" eine prägende heroische wie für historisch geglaubte Figur der Sturm- und Drangzeit.

Sie macht sich nun auch in den Bildern von Reinhart mit Vollmondnächten und tosenden Sturmlandschaften bemerkbar. Schiller sah in solch bewegten Landschaften, dass sie "für sich selbst zur Heldin" wird. Wie weit jedoch Reinhart unmittelbar von Schiller inspiriert war, ist ungewiss. Eine dramatisch bewegte Landschaft, in der zwei Reiter den Sturm bezwingen, lässt sich aber durchaus als Freundschaftsbild des Malers und des Dichters lesen.

Große Anerkennung fand Reinhart Zeit seines Lebens durch seine Aufnahme als Mitglied der Akademien in Berlin, Rom und München. 1839 wurde er von Ludwig I. von Bayern zum Hofmaler ernannt, ohne je wieder die Alpen überquert zu haben. Auch wenn er bis ans Lebensende produzierte, war die Zeit über ihn hinweggeschritten. Mit seinen Landschaften wusste ein junger Künstler wie Carl Blechen wenig anzufangen. Umgekehrt zeigt sich aber auch Reinhart von den jüngeren, zum Beispiel den Nazarenern, wenig erbaut. Auf ihn wirkten sie dezent sektiererisch.

Für Spott hatte der Klassizist Reinhart übrigens viel übrig. Zeit seines Lebens fertigte er Karikaturen an, in denen vom Hof bis zum Kunstkritiker jeder sein Fett abbekam. Die Ausstellung wird unterstützt durch die Freunde der Kunsthalle, die Stiftung Ratjen, die Dräger-Stiftung, die Tavolozza Foundation und die Strabag.

"Johann Christian Reinhart. Ein deutscher Landschaftsmaler in Rom" bis 27.1.2013, Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00