Das Bucerius Kunst Forum präsentiert den Bildhauer in einer großen Schau als bedeutenden Porträtisten

Alberto Giacometti (1901-1966) wurde mit seinen stehenden Figuren bekannt, extrem schlank, aufgeschossen, existenzialistisch anmutend. Einige sind Porträts, andere bleiben namenlos. Doch dies ist nur ein Aspekt im Schaffen des in der Schweiz geborenen Bildhauers, der zu den bedeutendsten der Welt zählt und dessen Werk gleichermaßen vom Kubismus wie Surrealismus geprägt ist.

Während die Hamburger Kunsthalle in einer inhaltlich abgestimmten Schau ausgehend von der surrealen Phase die Ensembles und Platzgestaltungen untersucht, widmet sich das Bucerius Kunst Forum vom 26. Januar bis 20. Mai 2013 unter dem Titel "Begegnungen" seinen philosophischen Überlegungen zur Condition Humaine. Sie fand vor allem Ausdruck in seinen faszinierenden Porträts. "Denn wenn man einen Kopf 'hätte', hätte man alles andere. Wenn man keinen Kopf hat, hat man nichts", befand Giacometti.

Die Ausstellung präsentiert Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen aus dem gesamten künstlerischen Schaffen von 1919 bis zu Giacomettis Tod 1966. Entstanden sind sie in seiner Schweizer Heimat im Bergell, in Genf, wo er während des Zweiten Weltkrieges Exil fand, und in seiner französischen Wahlheimat Paris, wo er auch als erfolgreicher Künstler noch ein kleines Atelier bewohnte. Während die künstlerische Avantgarde auf die Abstraktion setzte, verfolgte Giacometti die figurative Darstellung und begab sich damit in eine Außenseiterrolle.

Schon in seinen künstlerischen Anfängen um 1914 erlangte das Porträt zentrale Bedeutung. Noch im Atelier seines Vaters Giovanni Giacometti begann er mit ersten Zeichnungen und Gemälden. Sein Patenonkel war Cuno Amiet und der Patenonkel seines Bruders Diego Ferdinand Hodler. Die Familie wurde sein bevorzugtes Modell. Seine Mutter Annetta, seine Schwester Ottilia und ihren Sohn Silvio, seinen Bruder Diego und seine Ehefrau Annette hielt er über Jahrzehnte in Skulpturen, Malerei oder Zeichnung fest. Entgegen der häufig geäußerten Vermutung, es sei ihm gleichgültig, wer ihm Modell säße, war vor allem das Bildnis vertrauter Personen ein Mittel, diese besser zu verstehen. Und anhand der Auseinandersetzung mit ihnen wiederum die äußere Welt besser zu durchdringen.

Die Bildnisse Giacomettis zeichnen sich durch eine charakteristische Frontalität aus. Im meist auf den Kopf konzentrierten Bildausschnitt testete er verschiedene formale Varianten, von winzigen Figuren, Büsten, Halbkörpern bis zu den stehenden Frauen- und gehenden Männerfiguren. Beim Büstenporträt dienen die Schultern als Mittler zwischen Kopf und Sockel und vermitteln die Gestalt. Daneben schuf er die sitzende Halbkörperfigur, eine Weiterentwicklung des Kniestücks der Porträtmalerei.

Neben der Familie porträtierte Giacometti zahlreiche Künstlerkollegen. 1954 zeichnete er mehrere Bildnisse des todkranken Henri Matisse. Das Zeichnen war seine Art, mit Malern, Musikern und Schriftstellern zu kommunizieren, etwa mit dem Komponisten Igor Strawinsky und den Autor Jean Genet.

Ein Großteil seiner Skizzen entstand in Cafés, häufig auf Zeitungspapier. Fast unheimlich wirken manche in ihrer beredten Schemenhaftigkeit. Im legendären Café Les Deux Magots traf er Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Sartre erkannte in Giacometti den maßgeblichen Künstler des Existenzialismus. Für Giacomettis Ausstellung in der New Yorker Galerie Pierre Matisse schrieb er 1948 seinen berühmten Essay zur "Suche nach dem Absoluten". Das Prinzip der Distanz wurde essenziell für Giacometti. Seine Modelle berichten über die stundenlangen Sitzungen, während derer sie in in einer bestimmten Haltung verharrten. Markierungen am Boden legten die Position des Stuhls fest.

"Schon falsch! Ich sitze zu nahe bei Ihnen! Ich sehe überhaupt nichts!", überliefert der Schweizer Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka im April 1953 einen Ausbruch des Künstlers. Er gibt Ausdruck von Giacomettis Beschäftigung mit der Frage der Distanz von Künstler und Modell, mit Fragen der Wahrnehmung und des Sehens, der Ähnlichkeit und Lebendigkeit des Dargestellten und dem Ringen darum, das Wesen des Modells einzufangen.

Er interessierte sich nicht für die mimetische Nachahmung eines Vorbildes und die Äußerlichkeiten des Portraitierten, Kleidung oder Status. Immer legte er den Fokus auf die Augen, den klassischen Topos aufgreifend, der diese als Fenster zur Seele verstand. Zeit seines Lebens rang er mit dem Bewusstsein ständigen Scheiterns bei dem Versuch, das Momenthafte, Lebendige seines Gegenübers in eine materiell endgültige Form zu übertragen.

Giacometti - Zwei Ausstellungen für Hamburg: "Alberto Giacometti. Begegnungen" 26.1. bis 20.5.2013, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, täglich 11.00-19.00, Do 11.00-21.00, die Hamburger Kunsthalle zeigt zeitgleich vom 25.1. bis zum 19.5.2013 die Ausstellung "Giacometti. Die Spielfelder"