Es ist für mich der Moment des Jahres im Hamburger Rathaus: Olaf Scholz ist am 7. März gerade zum 13. Ersten Bürgermeister seit 1946 gewählt worden, er hat auf der Senatsbank Platz genommen. Der Sozialdemokrat sitzt dort nun allein, neben sich nur einen großen Blumenstrauß. Seinen Senat will er in Ruhe zusammenstellen und erst 14 Tage später von der Bürgerschaft wählen lassen (was auch geschehen ist).

Es ist ein Bild mit großer Symbolkraft. Nicht nur, dass es diese Form der vorübergehenden "Alleinregierung" zuvor noch nicht gegeben hat und dass sie mit dem Selbstverständnis der alten Stadtrepublik nicht so recht in Einklang zu bringen ist. Der alleinige Scholz auf der Senatsbank dokumentiert zugleich seinen Anspruch, die Fäden der Macht fest in der Hand zu halten.

Neun Monate nach seiner Wahl ist der Anspruch Realität geworden: Ich habe keinen Bürgermeister kennengelernt, der mehr Macht gehabt hat als Scholz, oder der bereit gewesen wäre, sie zu nutzen. Henning Voscherau haderte mit dem linken Flügel seiner Partei, der kaum eine Gelegenheit ausließ, ihm Nadelstiche zu versetzen. Ortwin Runde war als linker Sozialdemokrat zwischen dem Mitte-rechts-Flügel seiner Partei und dem Koalitionspartner GAL eingekeilt. Ole von Beust (CDU) hatte es mit dem vor Selbstbewusstsein strotzenden politischen Parvenu Ronald Schill zu tun. Als von Beust dann mit absoluter Mehrheit regierte, beschränkte er sich im Wesentlichen auf die großen Linien und die Krisenintervention. Scholz ist dagegen auch ein Bürgermeister fürs Kleingedruckte.

Zwei Faktoren stabilisieren Scholz' Führungsanspruch: Der Bürgermeister ist zugleich SPD-Landesvorsitzender. Das haben die Hamburger Sozialdemokraten - einst aufmüpfig, derzeit handzahm - noch nie zugelassen. Zweitens ist Scholz mit der Erfahrung als Bundesarbeitsminister und der intimen Kenntnis des Berliner Politikbetriebs ins Hamburger Amt gekommen. Ein hohes Maß an Professionalität sprechen ihm daher auch seine Kritiker nicht ab.

Etwas Drittes kommt hinzu: Scholz ist in seinen ersten Amtsmonaten unglaublich präsent in der Stadt gewesen. Termin auf Termin, ein Grußwort hier, ein bisschen Small Talk da. Er will der erste Ansprechpartner der Stadt sein und hat offensichtlich nichts dagegen, wenn man ihn als Chef im Ring ansieht.

Seit 1957, den Zeiten Max Brauers, hat keine Partei in Hamburg aus der Opposition heraus die absolute Mehrheit errungen. Das ist erst wieder der SPD mit Scholz gelungen. Doch seltsam: Als der neue Bürgermeister auf der Senatsbank saß, wirkte das Bild irritierend vertraut. Als von Beust 2001 nach 44 Jahren CDU-Opposition die Macht erobert hatte, bebte der Saal. Und bei Scholz? Seine Amtsübernahme hatte nichts Überraschendes. Das liegt wohl daran, dass es sich um einen Machtwechsel mit Ansage handelte. Scholz' Vorgänger Christoph Ahlhaus zerrann die Regierungsfähigkeit mit seinem Rest-CDU-Senat so sichtbar, dass es schon vor der Wahl nur noch um die Frage ging, ob Scholz mit der oder ohne die Hilfe der Grün-Alternativen Bürgermeister werden könne.

Natürlich regiert Scholz nicht wirklich allein. Nichts könnte falscher sein als das Bild von "König Olaf". Es ist eher so: Senat, Partei und SPD-Fraktion schreiben ihm Autorität zu, und er ist bereit, sie zu nutzen. Das ist die Botschaft des Bildes vom 7. März.