Die meisten Kirchenasyle enden positiv. Für die Beteiligten ist es belastend und erfüllend zugleich

Fanny Dethloff ist Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche und sitzt gemeinsam mit Dr. Matthias Gillner in der Härtefallkommission für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein. Gillner leitet in der katholischen Kirchengemeinde Glinde einen Männerkreis mit Deutschen und Flüchtlingen.

Hamburger Abendblatt:

Kirchenasyl ist umstritten. Haben Sie keine Probleme damit, sich in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen?

Matthias Gillner:

Wir arbeiten auf dem Boden des Grundgesetzes. Das Ziel ist, das Grundrecht auf Asyl auszuschöpfen und das Verfahrensrecht zu verbessern. Kirchenasyl ist keine Gefährdung des Rechtsstaats, eher eine Reifeprüfung für unsere Demokratie.

Fanny Dethloff:

Der Erfolg gibt uns recht. Es gibt viele Verfahrensfehler, sodass in bis zu 80 Prozent der Fälle, die Menschen hierbleiben können. Und wir kündigen ja Kirchenasyl offen an, bitten um einen Zeitaufschub. Dazu streben wir eine neue Überprüfung des Falles an.

Was muss passieren, damit jemand Kirchenasyl bekommt?

Gillner:

Wichtig ist, dass eine Gefährdung an Leib und Leben oder unannehmbare Härten im Herkunftsland für die Asylsuchenden bestehen. Oder auch eine akute Erkrankung.

Dethloff:

Es waren bisher vor allem Familien, die seit Langem gut integriert waren und abgeschoben werden sollten. Wir geben nicht sofort Asyl, sondern Experten prüfen erst mal den Verfahrensstand, schätzen ein, ob es eine Aussicht auf Erfolg gibt. Oft wurden aus Panik Anwälte gewechselt, es wurden Fehler gemacht. Aber wir können nicht allen Asyl gewähren, die anklopfen, dafür haben wir keinen Platz und die Bereitschaft in den Gemeinden ist auch nicht übermäßig hoch.

Nehmen Sie also nur Fälle auf, die eine Chance auf Erfolg haben?

Gillner:

Die Aussicht auf Erfolg spielt eine Rolle, aber auch die Dringlichkeit der Fälle. Man mutet so ein Kirchenasyl auch nicht jedem zu. Auf engstem Raum zu leben, den man nicht verlassen kann, und in der sogenannten Illegalität zu sein ist sehr belastend.

Was machen Sie, wenn das Verfahren trotz Kirchenasyls scheitert?

Dethloff:

Dann bereden wir mit den Asylsuchenden die "freiwillige" Ausreise. Und die Gemeinden halten oftmals den Kontakt zu ihnen auch in ihrem Herkunftsland, versuchen dann dort zu helfen und zu dokumentieren, wie es den Menschen vor Ort geht.

Das macht durchaus Druck, wie man an dem aktuellen Fall der abgeschobenen vietnamesischen Familie in Hildesheim sieht.

Wie hoch ist die Belastung für eine Gemeinde, die Kirchenasyl gewährt?

Gillner:

Es muss einen Unterstützerkreis geben, der sich um die praktischen Dinge kümmert, etwa dass die Kinder zur Schule kommen. Belastend wird es, wenn es sich lange hinzieht.

Dethloff:

Kirchenasyl ist eine Win-win-Situation für alle Seiten. Anfangs ist es oft schwierig. dann merken viele Menschen, dass sie etwas tun können. Auch ganz praktisch, beim Deutschunterricht oder beim Anschließen eines Herds. Es entwickelt sich etwas ganz Urchristliches. Die Frauen, Christinnen und Muslima, sitzen zusammen und beten, wenn ein Kind krank ist. Dieses Wunder im Kirchenasyl sollte man nicht zu klein reden.

Wurden Sie von Flüchtlingen schon einmal getäuscht?

Gillner:

Die Flüchtlinge sind oft traumatisiert und erzählen dann etwas, um sich die schmerzhaften Fragen vom Hals zu halten. Da kann es schon passieren, dass man auf diese Geschichte setzt und dann entdeckt, dass dahinter was anderes steckt.

Dethloff:

Ich weiß auch, dass die Geschichten, die dann zutage treten, oft so viel furchtbarer sind, als allen Beteiligten lieb ist. Es ist fatal, dass wir glauben, dass Flüchtlinge mal eben einem Beamten Auskunft darüber geben können, was passiert ist. Oft dauert es Jahre. Dem wird in den Asylverfahren keine Rechnung getragen. Kirchenasyl ist ein Versuch, die Menschen zur Ruhe kommen zu lassen und so Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.

Halten Sie Kontakt zu den ehemals Asylsuchenden?

Dethloff:

Ja, denn ich liebe Happy Ends und es gibt nichts Schöneres, wenn man die Menschen nach Jahren noch mal sieht und sie im Rückblick erzählen, was sie an Mitmenschlichkeit und Solidarität erfahren haben. Für solche Momente lebe ich.

Gillner:

Bei einer togolesischen Familie, die wir unterstützt haben, bin ich Taufpate. Die Menschen sind in unsere Gemeinde integriert, die Tochter geht in die Realschule.

Die Familie Bayval ist ein sehr positiver Fall der Integration. Ist das eher die Ausnahme?

Dethloff:

Ich glaube, dass Kirchenasyl einen Knoten löst. Denn plötzlich sind sie willkommen, kümmern sich Menschen um sie. Mit dieser positiven Erfahrung gehen sie in die Gesellschaft und wir erleben danach oft eine gelungene Integration. Viele sind ja auch Muslims und die lernen, dass man auch mit Christen gut leben kann.