Premium Alles inklusive auf “Mein Schiff 2“: Wenn Scampis von Gosch, Latte Macchiato und Cocktails an der Bar nichts extra kosten.

Eine Woche lang alles gratis: das Essen, der Wein, alle nur denkbaren Möglichkeiten einer mehr oder minder stilvollen Völlerei. Wird man dabei maßlos, nudeldick oder gar daueralkoholisiert wie der vogelwilde Käpt'n Haddock aus "Tim und Struppi"? "Mein Schiff 2" gehört zum TUI-Konzern und wirbt mit dem Slogan "Premium Alles Inklusive". Das gibt es ab 1250 Euro, Flüge eingeschlossen.

Mit 76 Kilo Eigengewicht entere ich in Civitavecchia bei Rom die Kabine Nummer 9124. Dort warten Geschenke: zwei Rosenquarze und ein Amethyst. Dazu eine Anleitung, dass man die Edelsteine in der Wasserkaraffe versenken möge, dadurch würde die Flüssigkeit energetisch. So etwas scheint offenbar zu funktionieren auf einem selbst ernannten "Wohlfühlschiff". Ich lasse die Steine ins Wasser plumpsen, habe nur Sorge, die Dinger in einem unbedachten Moment zu verschlucken.

Über zwei Decks im Heck des Schiffes erstreckt sich das Hauptrestaurant Atlantik mit seiner verführerischen Speisekarte. Die Menüfolge des Abends: Kaviar, Kalbsbries, Wolfsbarsch, Rinderfilet. Dazu eine "Gesund essen"-Auswahl. Oha, das kalt gelierte Fischsüppchen mit Austern-Einlage hört sich auch nicht übel an! "Sie können alles miteinander kombinieren", sagt die bezaubernde Katja, die auch in den nächsten fünf Tagen immer ausgeschlafen wirkt. Fünf Stunden Nachtruhe schafft das Gros der 780 Besatzungsmitglieder. Für mehr ist keine Zeit. Ein halbes Jahr lang nur dienen und lächeln. Freie Tage sind für die dienstbaren Geister während ihres Kontraktes nicht inklusive. Ich schäme mich ein bisschen, weil mein Appetit weitere Gedanken über eine an sich ungerechte Welt so schnell verdrängt, und packe das Austernsüppchen zwischen Kaviar und Bries. Später sieht man mich noch ums Käsebuffet schleichen. 40 Sorten, vom kleinkindkompatiblen Gouda bis zum formidablen Stinker.

Die Reifegrade schauen vorzüglich aus, kein Wunder, der Chefkoch, Herr über eine 140-köpfige Küchenbrigade, ist Franzose. Monsieur Alain aus dem bodenständigen Elsass leitet am nächsten Tag auch den Sushi-Kursus, bei dem er mit liebenswertem Akzent verkündet, wie man "eine Essische-Reis in eine Blatt von Olgen" wickelt. Die Sache mit dem Sushi ist übrigens nicht "Premium all inklusive". 25 Euro - so viel kostet auch das Steak-Tasting im Restaurant "Surf & Turf". Aber dafür bekomme ich nachmittags um halb fünf derart viel Fleisch gereicht, vom Pommernbullen bis zum japanischen Wagyu, dass ich nach der vierten Portion kapituliere. Wäre ich am nächsten Morgen nach Hause geflogen, hätte ich die Reste auf meinem Teller für meinen Hund einpacken lassen. Auf seiner persönlichen Skala allerherrlichster Vergnügungen rangiert Steak runterschlingen noch vor Katzenjagen.

Für 49 Euro extra könnte ich mich noch im Richards am Menü eines gastierenden Sternekochs delektieren, aber ich möchte ja all inclusive futtern. Wie die gute Pizza und die Pasta im La Vela. Dazu ein wunderbar scharfes Chiliöl. Die Menge, die ich davon konsumiere, wird wohl nur noch von "Mein Schiff 2" selbst getoppt, das in seinem Bauch pro Tag 60 bis 100 Tonnen Schweröl verbrennt. Ich probiere Krabben und Matjes bei Gosch, dem schwimmenden Ableger des Sylter Fisch-Ballermanns. Alles kostenlos, auch am Selbstbedienungsbuffet.

Und dann habe ich tatsächlich kurz überlegt, ob ich es zur Kuchenzeit mal auf die harte Tour versuche: Currywurst mit Pommes für zwischendurch, Grill und Friteusen auf dem Pooldeck sind rund um die Uhr im Einsatz. Nein, lieber nur einen Drink. Barmann Andreas empfiehlt "Sex on the Beach". Er ist noch sehr jung und steckt voller Begeisterung, darum erkläre ich ihm behutsam, dass man als Mann aus Prinzip keine Cocktails mit Softpornonamen trinken sollte. Also ein Glas Weißwein. Hat auch weniger Kalorien.

Kalorien? Es ist erst der zweite Tag an Bord, schon verfolgt mich das K-Wort. Es ist nicht zu leugnen: Das moderne Gewissen ist geprägt von der Lektüre unzähliger Artikel über gesunde Ernährung. Den Rest der Mittelmeerreise lasse ich die Finger von Brot, Pommes und Pasta. Kohlenhydrate sind hundsgemeine Hüftgoldproduzenten. Davon liest man doch ständig. Und den Kalorienabbau nicht vergessen! Morgens um acht mische ich mich unter die Jogger auf Deck zwölf. Leider überholen mich auch die Mädchen. In solchen Fällen tröstet ein Käseomelette zum Frühstück ungemein, doch ich ordere bloß rote Beeren. Die beiden Damen am Nebentisch gucken über ihren Berg von Räucherlachs mitleidig zu mir herüber. Ihre Gedanken zu lesen ist weiter keine Kunst: "Armer Kerl! Was hat denn der für ein Problem ...?"

Wieder daheim zeigt die Waage 75,5 Kilo. Ob das bedeutet, dass jetzt ein Teil von mir mit "Mein Schiff 2" auf dem Weg in die Karibik ist? Immerhin haben sich an Bord 500 Gramm verflüchtigt. Energetisch eben. Wie Amethyst und Rosenquarz im Trinkwasser.