Im Bernhard-Nocht-Institut auf St. Pauli sind Ärzte exotischen Erregern wie dem Dengue-Virus aus der Spur, die sich auch in Europa ausbreiten

Die Punkte sind neongrün, erbsengroß - und zahlreich. Ein ganzer Computermonitor ist voll von ihnen: ein Abbild dessen, was Dr. Jonas Schmidt-Chanasit 400-fach vergrößert durch sein Fluoreszenzmikroskop sieht, angestrahlt von einer winzigen UV-Lampe. Der Virologe schaut vom Okular auf, mustert den Bildschirm. "Positiv", murmelt er schließlich in die Dunkelheit des fensterlosen Raumes. Es klingt ganz so, als könne ihn dieser Befund nicht überraschen. "Dengue", sagt er, "Dengue-Fieber."

Jeden einzelnen grünen Punkt identifiziert Schmidt-Chanasit zweifelsfrei als eine vom Dengue-Virus befallene Zelle. Er hat sie zuvor in einem sterilen, hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Labor aus Blutserum gewonnen. Jeder einzelne Punkt ist der Beweis für eine Tropenkrankheit, diagnostiziert auf St. Pauli, mitten in Hamburg. Im Bernhard-Nocht-Institut.

Durch das Fenster seines Büros hat der 32-Jährige die Landungsbrücken im Blick, den Hafen, die großen Schiffe. An diesem Ort hat die Diagnostik von Tropenkrankheiten eine lange Tradition.

Bernhard Nocht war Ende der 1890er-Jahre Hafenarzt in Hamburg. Er bemerkte, dass unter den in der Stadt eintreffenden Seeleuten immer wieder unbekannte Krankheiten grassierten, die sie sich offenbar während ihrer langen Reisen in der Ferne eingefangen hatten. Der Arzt, der bereits einige Jahre mit dem Mediziner, Mikrobiologen und späteren Nobelpreisträger Robert Koch zusammengearbeitet hatte, erforschte diese Krankheiten. Daraus resultierte am 1. Oktober 1900 die Gründung des Instituts für Schiff- und Tropenkrankheiten. Bernhard Nocht wurde erster Direktor des Instituts und blieb es 30 Jahre lang.

Auch heute finden noch immer unerforschte Krankheiten ihren Weg aus fernen Ländern bis nach Europa, bis nach Deutschland, bis nach Hamburg-St. Pauli. Noch immer reisen sie an Bord der Handelsschiffe ein, immer öfter allerdings auch per Düsenflugzeug.

Für die 100 im Institut beschäftigten Ärzte und Wissenschaftler bedeutet das viel Arbeit. Rund 25 000 Blutproben untersuchen sie jährlich, einige Tausend davon auch auf den Dengue-Erreger. Der ist es, der den Virologen Schmidt-Chanasit zurzeit in besonderem Maße beschäftigt. "Gehört zu unseren Top Ten", sagt er. Das Virus sei weltweit auf dem Vormarsch, auch in Deutschland. Wer infiziert ist, bekommt Fieber, Hautausschlag, Gelenkschmerzen. Kommen Blutungen hinzu, besteht Lebensgefahr.

Die Krankheit ist nicht wirklich gut therapierbar. Und sie verbreitet sich heimtückisch: Etliche der jüngst Infizierten sind zurückgekehrte Südfrankreich- und Kroatien-Urlauber. Sie dürften mit allerlei gerechnet haben, niemals jedoch damit, sich mitten in Europa mit einer Tropenkrankheit zu infizieren, die ihre Wurzeln in Afrika und Südostasien hat.

"Etwa 600 Erkrankungen sind im vergangenen Jahr bundesweit gemeldet worden", sagt Schmidt-Chanasit. Das seien doppelt so viele wie 2009. Der 32-Jährige beschäftigt sich schon etwas länger mit diesem speziellen Virus. "Der Erreger wird wie die Malaria-Parasiten von Stechmücken übertragen", sagt er. Mücken und exotische Viren - das hänge überhaupt oft zusammen. Das Dengue-Virus wird wahrscheinlich nur von einer einzigen Mückenart übertragen. Es ist die Asiatische Tigermücke, die es schon im Namen trägt: Europa ist eigentlich nicht ihre Heimat. Trotzdem lebt sie nun schon in Kroatien und Südfrankreich, und die dort verbreiteten Populationen tragen das Virus in sich.

Jonas Schmidt-Chanasit geht davon aus, dass Erreger und Mücke getrennter Wege nach Europa gelangt sind: das Virus im Blut einzelner Reisender aus Übersee, die Mücken - womöglich noch nicht infiziert - als blinde Passagiere auf Frachtschiffen. "Die Mückeneier und -larven können zum Beispiel in den Wasserreservoirs von Glücksbambus oder in alten Autoreifen wunderbar überleben", sagt Schmidt-Chanasit. Im Ergebnis muss dann eine importierte Mücke einen infizierten Weltreisenden gestochen haben. So konnte sich der Erreger ausbreiten. "Denn das Dengue-Virus hält sich in der Mückenpopulation", sagt Schmidt-Chanasit, "die Mücken geben es über ihre Eier an ihre Nachkommen weiter. Das unterscheidet diesen Erreger von den Malaria-Parasiten."

In Deutschland selbst könne sich das Dengue-Virus aber noch nicht ausbreiten, meint der Virologe. Eine Weitergabe von Mensch zu Mensch wäre allenfalls bei einer Bluttransfusion denkbar, und Asiatische Tigermücken sind hierzulande bislang nicht gesichtet worden. Er ist nicht nur Virenexperte, er ist qua Beruf auch ein ausgezeichneter Mückenkenner. Und der weiß: Die Asiatische Tigermücke würde sich auch in Mitteleuropa wohlfühlen. Deshalb haben die Forscher des Bernhard-Nocht-Instituts auch immer ein Auge darauf, welche Stechtiere an welchem Ort auftauchen. Larven gefährlicher Arten müssten gegebenenfalls gesucht, gefunden und gezielt mit Bakterien-Toxinen bekämpft werden.

Wer die exotischen Mücken kennen will, der muss sie von Zeit zu Zeit auch in ihrer Heimat besuchen. Auf dem Korridor im Neubau des Bernhard-Nocht-Instituts, direkt vor Jonas Schmidt-Chanasits Büro, sind 30 silberfarbene Zylinder aufeinandergestapelt. Jeder einzelne sieht aus wie eine solarbetriebene Gartenleuchte aus dem Baumarkt. "Speichelfallen", sagt Schmidt-Chanasit stolz. Er hat diese Anlagen entwickelt, in den kommenden Wochen will er sie in Thailand aufstellen. Dort ist gerade Regenzeit - perfektes Mückenklima. Nachts wird das bläuliche Licht der Fallen die Stecher anlocken, drinnen wird Papier, verführerisch süß mit Honig beschichtet, zu einer Speichelprobe animieren. "Ich versuche, neue Viren zu finden, aber ich rechne hauptsächlich damit, Dengue-Viren zu finden", sagt Schmidt-Chanasit. Haben sie sich verändert? Gibt es neue Unterarten?

Das sind die Fragen, die ihn interessieren, damit er, zurück in Deutschland, sofort die richtige Diagnose stellen kann. "Die Diagnose dauert einen Tag", sagt der Arzt. Dann sieht er sie, 400-fach vergrößert: Punkte, neongrün und erbsengroß.