Eine große Retrospektive zeigt, wie Max Liebermann zum Wegbereiter der Moderne in Deutschland wurde

Eine klassische Künstlerlegende lässt sich aus Max Liebermann, dem deutschen Impressionisten, nicht stricken. Der Berliner Maler war kein armer Hirtensohn, der zum viel bewunderten Künstlergenie avancierte. Max Liebermann war Spross einer erfolgreichen jüdischen Unternehmerfamilie und wie diese von einem hohen Maß an bürgerlichem Arbeitsethos beseelt.

Zeit seines Lebens lag ihm das Malerfürsten-Dasein fern. Sein künstlerisches Unternehmen trug wesentlich dazu bei, der Moderne in Deutschland auf die Sprünge zu helfen. Sein Werk und sein kunstpolitisches Engagement setzten wichtige Weichenstellungen für die Entwicklung der Kunst um die vorletzte Jahrhundertwende.

Die Kunsthalle feiert Max Liebermann jetzt mit einer groß angelegten Retrospektive als "Wegbereiter der Moderne" mit über 100 Gemälden aus eigenem Bestand und zahlreichen internationalen Leihgaben. Der eine Weg des Max Liebermann in die Moderne führt über mehrere Bildetappen von den 70er-Jahren des 19. bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Es ist zunächst der Naturalist und Realist Liebermann, der mit seinen frühen Bildern vom zumeist ländlichen Arbeitsleben die Kunstwelt auf sich aufmerksam macht. Zunächst in Frankreich, später in Holland, wohin es ihn für mehrere Jahre zieht, entdeckt Liebermann in der Weite den noch sozial intakten Raum vorindustrieller Arbeit.

"Unter Verzicht auf anekdotisches Beiwerk", wie Agnieszka Lulinska in ihrem Katalogbeitrag schreibt, stellt Liebermann seine Handwerker, Bauern oder arbeitenden Frauen "mehr als soziale Typen denn als eigenständige Individuen dar". In Bildern wie "Netzflickerinnen" oder die "Flachsscheuer in Laren" zeigt sich Liebermann inspiriert von den großen französischen Realisten. Von Gustave Courbet oder Jean-François Millet, von der Monumentalität des in der Natur arbeitenden Menschen. Liebermann geht stets nach derselben Methode vor, wie Kurator Jenns Howoldt betont: "Er begann mit zahlreichen vor Ort gezeichneten oder gemalten Gesamt- und Einzelstudien. Im Atelier klärte er die figuralen Motive und die Bildorganisation." Anfänglich fielen in Deutschland die Urteile über diese neue Malerei vernichtend aus.

Bilder wie "Der zwölfjährige Jesus im Tempel" lösten aufgrund ihres Realismus einen Skandal aus. Einige Kritiker erkannten das wegweisende Potenzial seines Werkes. Eine Kritik von 1872 attestierte Liebermanns Bildern "nichts von der schwächlichen Süßlichkeit, mit der die meisten Genremaler die Gefühle und Handlungen der Bauern zu verpoetisieren pflegen".

Liebermanns Arbeitsdarstellungen markieren gleichzeitig den Beginn seiner Freilichtmalerei: "Um diese Zeit fing ich an", erinnerte er sich später, "die Bilder vor der Natur zu malen oder wenigstens vor der Natur zu beginnen." Wie bei seinen geschätzten Kollegen in Frankreich, etwa Eduard Manet, wird ihm mehr das Malerische als die Impression zum Leitfaden der eigenen Kunst: "Ein Bündel Spargel, ein Rosenbukett genügt für ein Meisterwerk, ein hässliches oder hübsches Mädchen, ein Apoll oder ein missgestalteter Zwerg." Dies ist eines der bekanntesten Zitate Liebermanns. Es weist ihn als Verfechter einer von sentimentalem und historisierendem Ballast befreiten Malerei aus, weniger allerdings als experimentierfreudigen Künstler.

Seine Amsterdamer Bilder, in denen sich erstmals das Spiel des Sonnenlichts bemerkbar macht, der Aufschluss zu den modernen Freizeitmotiven der Impressionisten, den Strandszenen, Polospielern und nicht zuletzt sein Refugium im Garten seiner Villa am Wannsee charakterisieren ihn als Bürgermaler, nicht als Provokateur. Er bezeichnete sich als "sehr bourgeois und regelmäßig wie eine Turmuhr". Den Impressionismus betrachtete er als "Weltanschauung", ohne "die Verfahren des französischen Impressionismus in seiner Malerei" anzuwenden, so Ex-Deichtorhallen-Chef Robert Fleck in seinem Katalogbeitrag.

Der zweite Weg, den Liebermann beschreitet, ist der eines umtriebigen Kulturpolitikers. Wenn die Ausstellung die "zentrale Stellung des Malers Liebermann im Kunstgeschehen der deutschen Moderne zwischen 1890 und 1935 zu rekonstruieren und die europäische Bedeutung seines Werks aufzuzeigen" versucht, dann ist dies ohne seine umfangreichen Kontakte nicht denkbar. Sie reichten zum damaligen Direktor der Berliner Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, dem Hamburger Kunsthallen-Gründungsdirektor Alfred Lichtwark, nach Frankreich und zur Biennale di Venezia. Zentral ist auch seine imposante Sammlung an moderner Kunst.

Vor allem aber ist es die 1898 als unabhängige Künstlervereinigung gegründete Berliner Secession, deren Präsidentschaft Liebermann ein Jahr später annimmt und die er bis 1911 innehat. Unter seiner Leitung gelangen bedeutende Werke der Gegenwartskunst aus Moderne und Impressionismus nach Berlin. Im Gegensatz zu anderen Sezessionen, etwa der Wiener, sieht Liebermann die Berliner nicht programmatisch aufgestellt. Er möchte sich "unabhängig vom Staate" nicht auf "irgendeine gerade herrschende Mode in der Kunst" einschwören, vielmehr "für jedes Talent, in welcher Richtung es sich auch äußern möge" eintreten. Das hält Liebermann nicht davon ab, sich den neuen und expressionistischen Tönen gegenüber ablehnend zu verhalten. Um den Bürgermaler kommt auch die Politik nicht herum. Die gesellschaftlichen Abende im Hause Liebermann am Pariser Platz sind begehrte Ereignisse.

Nach dem Krieg wird er zum Ehrenbürger von Berlin ernannt und erhält den Orden Pour le Mérite. Er wird Präsident der Preußischen Akademie der Künste, heute Berliner Akademie der Künste. "Es ist keine Evolution des Impressionismus zu der jetzigen Anschauung, sondern eine Revolution (...), um der Kunst neues, frisches Leben einzuflößen", so blickt er im letzten Jahr seiner Präsidentschaft 1931 auf das Geschaffene zurück. Die Ausstellung wird unterstützt durch die Commerzbank Stiftung, die Otto Group und die Freunde der Kunsthalle.

Max Liebermann. Wegbereiter der Moderne 30.9.2011 bis 19.2.2012, Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Sockelgeschoss, Glockengießerwall, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00